■ Mit dem Konsensmodell auf du und du: Ohne Widerstand
Berlin (taz) – „Achterkamertjes“ – Hinterzimmer – heißen in den Niederlanden die Orte, wo Konflikte endlos diskutiert und dann mit einem Kompromiß entschieden werden. Nicht erst seit Beginn der 80er Jahre und dem „Poldermodell“ treffen sich Gewerkschaften und Unternehmervertreter mehr oder weniger regelmäßig, um „den Dialog zu pflegen“. In den eingedeichten Poldergebieten, in denen das Land dem Meer abgerungen wird, müssen alle zusammenstehen, wenn es darauf ankommt – in diesem Sinne sind beide Seiten überzeugt, daß die Sozialpartner beim Aufbau der Wirtschaft zusammenarbeiten und Verantwortung übernehmen müssen.
Die private Stiftung der Arbeit und der öffentlich-rechtliche Sozialökonomische Rat (SER) sind die Foren für den Dialog. „Wir brauchen heute ehrliche Technokraten“, sagt Arbeitsminister Klaas de Vries, „keine Ideologen“. Diese Linie hat sich nicht nur für den Staat und die Wirtschaft ausgezahlt, sondern auch für die Gewerkschaften. Entgegen dem Trend bei den europäischen Schwesterorganisationen hat der Dachverband FNV, der 16 Einzelgewerkschaften vertritt, seine Mitgliederzahl in den vergangenen zehn Jahren um ein Drittel erhöht. Und das, obwohl die Lohnentwicklung erheblich unter dem EU-Durchschnitt liegt.
Vor Ort sieht es manchmal anders aus. Zwar steigt die Zahl der neugeschaffenen Jobs immer noch zehnmal schneller als im EU-Durchschnitt, und manche Branchen haben Probleme, Leute zu finden, aber jeder zweite neue Arbeitsplatz ist ein meist schlecht bezahlter flexibler oder befristeter Job, der aber zumindest teilweise sozial abgesichert ist. Und Ministerpräsident Wim Kok hat bereits bei der Vorstellung seines Haushalts im Herbst deutlich gemacht, daß er alles tun werde, um höhere Löhne zu verhindern.
Auch Kok kann allerdings wenig daran ändern, daß die Dialogbereitschaft einzelner Konzernchefs nicht ganz so ausgeprägt ist wie die des Unternehmerverbandes VNO und des Gewerkschaftsbundes FNV. Allein im September und Oktober meldeten fünf große Unternehmen den Abbau von Arbeitsplätzen an. Der Elektronikkonzern Philips und die niederländische Telecom KPN wollen jeweils ein Drittel ihrer Stellen streichen, Software-Produzent Baan, der britisch-niederländische Ölmulti Shell und die Finanzgruppe ING „drastisch reduzieren“. Hier allerdings scheint die bisherige Konsenssuche die Beschäftigten bereits konditioniert zu haben. Widerstand gegen die Pläne wurde bislang jedenfalls nicht angekündigt. bw
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