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Triumph der Selbstbefreiung

■ „Ein anarchistischer Bankier“ in der Schauspielhaus-Kantine

Bankiers sind ehrenwerte Menschen, selbstlose Stützen der Gesellschaft? Nein, natürlich nicht. Diese Antwort wird wohl kaum einen Leser dieser Zeitung überraschen. Aber was Bankiers dem portugiesischen Dichter Fernando Pessoa zufolge wirklich sind, läßt doch aufhorchen: Bankiers sind nämlich in Theorie und Praxis wahrhaft Anarchisten. Viel mehr Anarchisten sind sie als noch die anarchistischsten Bombenleger, die nämlich nur in der Theorie Anarchisten sind und darüber hinaus „Anarchisten und Dummköpfe“. Banker dagegen sind „Anarchisten und gescheit“. So Pessoa.

Geschrieben steht selbiges in dem Text Ein anarchistischer Bankier, der am Donnerstag in der Kantine des Hamburger Schauspielhauses Premiere hatte. Im Anschluß an ein ausgiebiges Mahl in einem Restaurant beweist ein Bankier einem Freund bei Zigarre und Rotwein in aller Ausführlichkeit: Erstens, daß er Anarchist sei. Zweitens, daß der anarchistische Versuch, die Gesellschaft als Ganze zu befreien, notwendig in die Tyrannei führen müsse. Drittens, daß selbst innerhalb anarchistischer Gruppen Tyrannei herrsche. Viertens, daß man also, um ein jede Tyrannei ablehnender Anarchist zu bleiben, nur sich selbst befreien könne. Fünftens, daß man sich vor allem von den „unnatürlichen Fiktionen“ befreien müsse, die das Leben beherrschen und deren größte das Geld sei. Sechstens, daß man sich von der Fiktion des Geldes nur befreien könne, indem man es erwerbe. Und also siebtens, daß man, um wahrhaft Anarchist zu sein, Bankier werden müsse: „Ich habe jemanden befreit. Mich habe ich befreit. Den, den ich befreien konnte, habe ich befreit.“ Sagt der Bankier und trinkt einen Schluck Rotwein.

Gedankliche Triumphe mit Hintersinn. Ein anarchistischer Bankier kreist ausholend und mit einer bis zur Parodie hochgetriebenen Sophistik um die Verschlingung von Befreiung und Herrschaft, von Wohlanständigkeit und Asozialität. Ein hübsches Kammerstück für jeden, der gerne den verschlungenen Pfaden des größten Anarchisten von allen, des freigelassenen menschlichen Hirns, folgt.

In ihrer Bühneneinrichtung hat die Regisseurin Ina-Kathrin Korff dem Text voll und ganz vertraut. Bis kurz vor Schluß hält sie das Stück für eine Haupt- (der Bankier) und eine Nebenfigur (der Freund) nebst einer stummen Kellnerrolle im Plauderton. Wolf Aniol als Bankier erläutert die hanebüchensten Schlußfolgerungen aus seinen geistigen Taschenspielertricks mit einer Selbstsicherheit, die glatt als Pose eines Deutsche-Bank-Aufsichtsratsmitglieds durchgehen könnte. Von nun an wollen wir Sparkassen-Angestellte mit neuen Augen betrachten.

Dirk Knipphals

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