: Die kollegiale Badekugel
Mich von dem Weihnachtsgeplänkel meiner Eltern abzugrenzen, habe ich schon lange nicht mehr nötig. Als Teenagerin war es noch wichtig, dem Diktat festlicher Kleidung zum Trotz im Trainingsanzug am Tannenbaum aufzulaufen. Später ließ ich mich bestenfalls dazu herab, Heiligabend eine Urlaubskarte aus Gomera zu schicken. Im gestandenen Erwachsenenalter sind derlei Machtspielchen vorbei. „Wir machen es gar nicht festlich“, verspricht meine Mutter denn auch bei ihrem alljährlichen Lockversuch, und baumeln dennoch Glitzerkugeln in der Wohnung, sehe ich großmütig darüber hinweg.
Voriges Jahr sprang sie über ihren Schatten. Wir könnten uns zum Essen in einem Restaurant treffen, schlug meine Mutter vor. Beglückt über den unkonventionellen Rahmen gelobte ich mir, ihr einen denkwürdigen Abend zu bereiten. Sie sollte ihren Vorschlag nicht bereuen, und so wollte ich mich vor allem an die goldene Regel halten: Ich habe mich über Geschenke überschwenglichst zu freuen.
Nach dem Auspacken der Strumpfhose wollte ich auf den alljährlichen Einwand verzichten, daß ich keine Strumpfhosen trage. Sollte sie mir wieder Badekugeln schenken, wollte ich unerwähnt lassen, daß ich keine Badewanne besitze. Ich würde sie glücklich machen, indem ich zur dankbaren Dreijährigen mit strahlenden Augen mutierte.
Wir speisten in einem indischen Lokal („Die sind doch gar keine Christen, oder?“). Als der intime Moment der Bescherung nahte, ließ der Kellner uns dezent allein. Die Geschenke lagen auf dem Tisch, meine Mutter hatte schon ihren Spruch „Da habe ich dich aber verwöhnt, was?“ auf den Lippen, als die Tür aufging – und zwei KollegInnen hereinkamen.
Ungläubig starrten sie erst auf Strumpfhose und Badekugeln, dann in mein vor kindlicher Ehrfurcht gerötetes Gesicht. Ich fühlte mich ertappt wie ein junger Hund, der monatelang trocken war und dann doch wieder in die Wohnung gepinkelt hat. Ich war keine erwachsene Frau mehr, keine respektable Journalistin, ich war ein Kind mit seiner Mama, und um eine würdevolle Erklärung ringend stammelte ich vor mich hin.
Die Gelegenheit, lautstark und endgültig klarzustellen, wie überflüssig die Geschenke meiner Mutter sind, vermochte ich nicht zu nutzen. Fast wortlos raffte ich die Sachen zusammen und vertiefte mich in die Speisekarte. Julia Bertz
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