: Mehr Stoff für den ganz normalen Fußballjunkie
■ Eine Verdoppelung der WM-Dosis ist für Abhängige völlig unzureichend: Fußballsüchtige fordern vom Drogensyndikat um Pate Joseph Blatter die tägliche WM oder, besser, Dauer-Weltmeisterschaften
Fachleute wissen längst, daß Fußball eine Droge ist, ein raffiniert designtes Psychogift. Fußballdope ist persönlichkeitsverändernd, familienzerrüttend, zeitfressend. Die Öffentlichkeit verschließt vor dem Problem (noch) die Augen, TV-Drogendealer wie die Ufa aber haben es schriftlich: Einer eigenen Umfrage zufolge bezeichnen sich heute schon 27 Prozent aller fußballinteressierten Deutschen als „fußballverrückt“.
Das Wohnzimmer ist zur Fixerstube der Familie geworden. Und die fußballkranken Glotzer lechzen nach immer mehr Stoff. Da kommt – nicht zufällig aus der Schweiz (Sitz der Fifa), deren liberale Drogenpolitik schon immer Sorgen bereitete – der Vorschlag gerade recht, die WM-Dosis zu verdoppeln. WM bald alle zwei Jahre! Die geplante Copa Blattera ist Teil eines Kampfes der zwei wichtigsten Fußball-Drogensyndikate um die Schwerstabhängigen. Die europäische Vereine-Mafia hat soeben ihre aufgeblasene Champions League als neue Europaliga noch aufgeblasener auf den Markt geworfen. Jetzt also die Verbands-Paten. Jeder Tag wird bald zum Spieltag.
Schon heute gibt es 4.000 Stunden Fernsehfußball pro Jahr, Tendenz steigend. Und die Süchtigen werden mit beschleunigtem WM- Takt noch mehr glotzen, auch wenn der Stoff immer schlechter wird und zunehmend mit Werbung gestreckt ist. Nichts darf man verpassen. Schwere soziale Verwerfungen werden folgen: Isolation, Einsamkeit, Zwangstherapien, Scheidungen überall.
Akut Drogensüchtige werden nicht einmal das Besuchsrecht bei ihren Kindern bekommen. Co-abhängige Partner (meist: Partnerinnen) werden sich in Selbsthilfegruppen zusammenschließen. Schon heute trifft es die Dealer selbst: Leverkusens Manager Calmund mußte 1998 die Gattin gehen lassen, und Bild machte auf mit „Zuviel Fußball – Ehe kaputt“.
Früher warfen die Fans bei Mißergebnissen aus Wut ihre Fernseher aus dem Fenster. Jetzt, bei der Frankreich-WM, gab es einen ersten Versuch von Selbsttötung, als sich in Augsburg ein Mann aus Enttäuschung über das Viertelfinal-Aus gegen Kroatien selbst aus dem Fenster stürzte. Das ausbleibende Golden Goal fast als Goldener Schuß. Wo soll das erst enden bei Dauer-Weltmeisterschaften?
Überhaupt: Warum nicht jedes Jahr WM? Frühlings-WM? Herbst-WM? Tages-Euroturnier und Nacht-WM? Zur Quotensteigerung werden die Spiele ohne Ankündigung auf zwei Tage gesplittet (mit „8-Stunden-Auszeit“). Ergebnis-Korrektur („Siege für alle Nationen“) gibt's per Retorten- TED im Internet. Spieler-Wechsel mit Neueinbürgerung und Paßausgabe zur Endspiel-Halbzeit: Dann wird vielleicht Englands David Owen sein eigenes Führungstor aus Halbzeit 1 ausgleichen und auch noch das Siegtor für Deutschland schießen. Überhaupt: „Endspiel“? Das ist schon heute Etikettenschwindel: Nie ist beim Fußball was zu Ende. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Immer ist Spiel.
Die Kranken brauchen Suchtberatung und Entziehungskuren. Kommunale Drückerräume („Kick Inns“) dürfen nur ein Anfang sein, genauso wie staatlich subventioniertes AOK-TV, um den schlimmsten kriminellen Übergriffen in Zukunft womöglich decoderloser Junkies zu begegnen. Die User müssen lernen, wie „Fußball zum Abgewöhnen“ wirklich geht, von dem die Kommentatoren und virtuellen TV-Drogenkuriere so gern faseln.
Noch vernachlässigt der Drogenbericht der Bundesregierung die Fußballsucht völlig. Schläft die tabaksüchtige Gesundheitsministerin? Ist sie gekauft? Die Drogenbosse gehören endlich auf die Anklagebank! Und Chef-Pate Blatter in die Produktion! Bernd Müllender
Der Autor arbeitet im Zweitberuf als Fußballtherapeut (alle Kassen). Als Fischer Taschenbuch erschien von Bernd Müllender 1998: „Fußballfrei in 11 Spieltagen. Eine Entziehungskur für Süchtige“. 256 Seiten, 16,90 DM (8,641 Euro)
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen