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„Warentest“ in der „Markthalle“

■ „Mercado“ fertig: Über dem jüdischen Friedhof in Ottensen darf geshoppt werden / Richter bezweifelt Rechtmäßigkeit der Bebauung Von Marco Carini

Am kommenden Donnerstag ist es so weit: Das Ottenser Einkaufs-center „Mercado“, besser bekannt als „Hertie-Quaree“, öffnet seine Pforten. Nach knapp anderthalb jähriger Bauzeit, in der 170 Millionen Mark in das Center gesteckt wurden, sollen rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft die Kassen klingeln. Auf rund 20.000 Quadratmeter Nutzfläche sind neben rund 60 Ladenflächen auch 41 Kleinst-Appartements entstanden, die aber nicht mehr als 20 Prozent der Gesamtfläche ausmachen.

Die Eröffnung soll möglichst geräuschlos über die Bühne gehen: ohne Einweihungsfeier und Feuerwerk. Denn das Center, das über dem jüdischen Friedhof von Ottensen steht, soll nicht wieder in die Schlagzeilen. Seit die Bilder um die Welt gingen, auf denen Hamburger Polizisten 1992 gegen orthodoxe Juden vorgingen, die gegen die Bebauung der Begräbnisstätte mit Sitzblockaden protestierten, ist das Projekt zum internationalen Politikum geworden.

Für Ludger Inholte, Geschäftsführer des Center-Investors Büll & Liedtke, ist dieser Konflikt längst aus der Welt, da „wir die Baupläne nach Vorstellung des Oberrabbiners“ gestaltet haben. Itzchak Kolitz hatte der Bebauung im Mai 1992 unter der Maßgabe zugestimmt, daß jede Ausschachtung des Friedhofsgeländes und damit auch der Bau von Tiefgaragen unterbleibe.

„Kein Konsumtempel“ wurde hier gebaut, beteuert Inholte, die Mieten seien „ortsüblich“, und die Architektur, die dem Bauwerk „den Charakter einer Markthalle“ verleihe, würde „die Maßstäblichkeit des Stadtteils aufnehmen. Nicht „Edelboutiquen“, sondern Geschäfte, die hauptsächlich alltägliche Gebrauchsgüter verkauften, würden das Bild der erst zu „rund 80 Prozent vermieteten“ etwa sechzig Ladenflächen bestimmen. Inholte kann sich deshalb „nicht vorstellen, daß es am Eröffnungstag zu Protestaktionen kommt“.

Da aber dürfte er sich geirrt haben. Mehrere Gruppen – von der SeniorInnengruppe „Hertie war so schön“ hin zur Nachbarschaftsinitiative „Schluß mit dem Einkaufsterror“ – mobilisieren zu einem „Aktionstag zur Mercado-Eröffnung“ am Donnerstag. Ab 14 Uhr soll es zu einer „allgemeinen Mercado-Besichtigung mit Schnitzeljagd und Warentest“ kommen (Zweideutiges Motto: Gemeinsames Einkaufen macht mehr Spaß und ist billiger), ab 17 Uhr folgt eine Kundgebung an der Ottenser Hauptstraße. Die Initiativen befürchten „negative soziale Folgen“ durch das Einkaufszentrum wie die Verdrängung kleinerer Läden, eklatante Mietsteigerungen und die Vertreibung einkommensschwächerer AnwohnerInnen.

Neue Nahrung könnten die AnwohnerInnenproteste durch eine brisante juristische Würdigung der Mercado-Baugenehmigung erhalten, die der auf Baurecht spezialisierte Richter am Berliner Bundesverwaltungsgericht Jörn Berkemann vorgenommen hat. Berkemann kommt in seinem zusammen mit der Historikerin Ina Lorenz verfaßten noch unveröffentlichten Buch über den „Streitfall jüdischer Friedhof Ottensen“ (Dölling und Gallitz-Verlag, Hamburg) zu dem Ergebnis, daß der Hamburger Senat geltendes Recht massiv verbogen habe, um dem Einkaufszentrum auf die Beine zu helfen.

Denn laut gültigem Baustufenplan war auf dem Center-Areal nur eine Bebauung erlaubt, die „überwiegend Wohnzwecken“ dienen sollte. Berkemann: „Das Gelände des ehemaligen jüdischen Friedhofs wurde nicht kraft regulärem Baurechts erneut bebaut, sondern weil der Senat dies im Wege einer Ausnahme zuließ“. Durch die 1992 vom Senat erteilte Ausnahmegenehmigung habe der „evozierende Senat faktisch den Gebietscharakter geändert“.

Die Ausnahme-Genehmigung aber hätte nach geltendem Recht nur erteilt werden dürfen, wenn „städtebauliche Besonderheiten gerade für das Grundstück des Bauherren bestanden“. Der Berliner Richter selbst kommt zu dem Schluß: „Es gab keine städtebaulichen Gründe, um vom geltenden Baurecht abzuweichen“. Im Klartext: Der umstrittene Konsumtempel hätte nie gebaut werden dürfen.

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