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Material, Form, Stimmung

■ Im Oktober präsentieren vier Schweizer Architekturbüros ihre Arbeit

Bei aller gebotenen Vorsicht auf der Suche nach nationalen Gemeinsamkeiten von Architekten fallen bei der Betrachtung der Baukunst der Schweiz doch zwei Momente augenfällig ins Gewicht: Der Bezug zur klassischen Moderne und die konzeptionelle „Heimatverbundenheit“. Unter letzterem lassen sich sehr unterschiedliche Herangehensweisen beobachten, die wiederum unter drei Gesichtspunkten grob umrissen werden können: Material, Form, Stimmung.

Auch die vier Schweizer Architekturbüros, die im Verlauf des Oktobers auf Einladung der Hamburgischen Architektenkammer ihre Arbeit in Hamburg vorstellen werden, beziehen sich stark auf Kontext und abstrakte Formensprache. Verwendung von Material aus der Umgebung vom Bruchstein bis zum Holz, Übersetzung vorgefundener namenloser Architektur in klar strukturierte Entwürfe, Reduktion auf das Wesentliche im Geiste Adolf Loos' und Stilzitate von Zeichen der 20er sind von der Waldhütte bis zum Bürosolitär die Sprache vieler Schweizer Architekten.

Als Beispiel für die Bedeutung der Stimmung gibt Peter Zumthors Wohnhaus für Betagte in Chur beredt Zeugnis. Denn seine Umsetzung versucht bis ins Detail knarrender Holzfußböden eine Atmosphäre zu erzeugen, die es den aus der Umgebung kommenden alten Menschen erlaubt, gewohnte Eindrücke vorzufinden. Trotz der kühlen Geometrie des Gebäudes sorgen aus dem Hausbau der Gegend vertraute Baumaterialien (Tuffstein, Lärchenholz) und die Anlehnung an die tragende Schwere der alpinen Architektur für eine gleichzeitig offene, moderne wie subtil mit dem historischen Erbe kom-munizierende Erscheinung, die den Lebenswechsel erleichtern kann.

Zumthor trat zuletzt mit seinem überzeugend sachlichen und stringenten Besucherzentrum auf dem Gelände des ehemaligen Reichsicherheitshauptamtes in Berlin hervor, neben dem sich die Vorschläge für das Denkmal der Ermordeten des 3. Reichs in ihrem symbolischen Größenwahn desavouieren.

Aber auch jüngere Büros wie Bearth/Deplazes oder der Montag abend sprechende ehemalige Aldo Rossi-Assistent Max Bosshard (vom Büro Bosshard/Luchsinger) gehören in den eidgenössischen Architekturdiskurs über den Dialog des Gebäudes mit seiner Umwelt. Da sehen Turnhallen schon mal aus wie Sennerhütten, und Einfamilienhäuser verbergen hinter nur dezent gestutzter Serienhausfassade fließende Grundrisse in rationaler Eleganz.

Auf jeden Fall tragen alle vier hier vortragenden Büros in ihren Entwürfen einen spannenden Streit zwischen Traditionen (der Heimatarchitektur und der Moderne) und zeitgenössischem Formwillen aus, der für die stetig zunehmende internationale Reputation der Schweizer Architektur mitverantwortlich ist. Ein Besuch kann also lohnen.

Till Briegleb

Vorträge: 2.10., Bosshard/Luchsinger; 9.10., Burkhalter/Sumi; 16.10., Bearth/Deplazes; 23.10, Peter Zumthor; alle Freie Akademie der Künste, 18.30 Uhr Einführende Publikationen: Carmen Humbel – Junge Schweizer Architekten und Architektinnen, 150 S., 78 Mark, sowie: Construction, Intention, Detail; 80 S., 58 Mark, beide Artemis/Birkhäuser

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