: Aus dem Wunderwirtschaftsland
■ Zuerst gab es sie nur für Seeleute, die hier ihre Devisen loswerden konnten, später zierten sie jede Kreisstadt: die Intershops in der DDR
Im Berlinteil der taz gibt es eine Kolumne, und auch die zitty hat eine Rubrik mit „Intershop“ überschrieben. Aber was war das noch mal gleich? Gut, daß es die Berlin- Brandenburgische Geschichtswerkstatt gibt. In dem Verein fanden sich ost- wie westdeutsche Akademiker und solche, die es vielleicht mal werden wollen, zusammen.
Wie der Name schon sagt, dreht sich alles um deutsche Geschichte, die ostdeutsche speziell. Gäste sind willkommen, wenn sich zum Beispiel mit der weiblichen Häftlingsgesellschaft im Gulag oder der Musealisierung von DDR-Geschichte beschäftigt wird oder Forschungsprojekte und Bücher von Mitgliedern vorgestellt werden. Der Verein besorgte zudem die Ausstellungen zum Soldatenfriedhof Halbe und über das Nervengas Sarin in Falkenhagen.
Es gibt bislang keine vollständig niedergeschriebene Geschichte des Intershops in der DDR. Genug Anlaß für Katrin Böske, Studentin der Kulturwissenschaft, seit gut drei Jahren in Archiven zu wühlen und Zeitzeugen zu befragen. Damit dürfte sie wissenschaftliche Pionierarbeit leisten. Erste Ergebnisse ihrer Recherchen sind bereits im Band „Wunderwirtschaft“ (Böhlau-Verlag) nachzulesen. Jetzt wird an der Magisterarbeit gewerkelt.
Was die junge Frau Montag abend zum Thema vortrug, dürfte auch für den gemeinen Ostler neu sein. Denn entgegen landläufiger Meinung, die Intershops wären erst nach dem Mauerbau eingerichtet worden, gab es diese schon früher. 1955 wurde in der Hafenstadt Rostock das erste Einkaufsparadies dieser Art eröffnet, damit hier die Seeleute ihre Devisen loswerden konnten. Es trug den schönen Namen „HO Internationaler Basar“. Erst ein Jahr später einigte man sich auf „Intershop“. Von denen es schnell immer mehr gab.
Später, als ab 1974 auch dem DDR-Bürger der Devisenbesitz erlaubt war, hatte jede poplige Kreisstadt ihren Laden mit dem Geruch des nahen, fernen Westens: Eine Melange aus Seife- und Kaffeeduft. Die DDR war eben auf jede harte Westmark der Millionen Westreisenden angewiesen. Aber auch auf die seiner eigenen Bürger, wenn sie denn – wie auch immer – überhaupt an D-Mark herankamen.
Das war dann auch ein schöner Diskussionseinstieg. Kann man davon sprechen, daß die DDR eine Zweiklassengesellschaft war? Denn die einen hatten die Westmark, die anderen konnten nur von ihr träumen. Die einen kauften Intershop-Waren, gaben damit an, konnten Bürokraten etc. bestechen und andere unmögliche Dinge möglich machen. Den anderen blieb die Kaufhalle. Also, zwei Klassen? Ja, meinten die einen. Nein, die anderen. Aber da muß wohl jeder Ex-DDRler selbst urteilen. Andreas Hergeth
Nächster Termin: Ein Magdeburger Großbetrieb und seine Arbeiter im Nationalsozialismus und in der DDR. 22.2., 19.30 Uhr, Kulturhaus Mitte, Rosenthaler Straße
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