Sauerbratenmusik

■ Angelo Branduardi begeisterte im Pier 2

Angelo Branduardi vorzustellen, hieße, einen vom Aussterben bedrohten, nachtaktiven Raubvogel nach Griechenlands Hauptstadt zu tragen. Das heißt – zumindest bei den Jahrgängen, die schon mehr oder weniger lange wissen, daß der Lack ab ist, ist der 1950 bei Mailand geborene Musiker ein Begriff.

Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre heimste der Multiinstrumentalist vor allem in Deutschland mit seinen Platten zahlreiche Preise ein und füllte damals riesige Konzertsäle. Mit dem Abebben der Folklore-Euphorie verschwand auch der Italiener für zwei Jahrzehnte aus dem Rampenlicht. Angesichts dieses Karriereverlaufs war es wohl kein Zufall, daß im nahezu ausverkauften Pier 2 die U30-Fraktion durch Abwesenheit glänzte.

Nicht nur am Publikum hatte der Zahn der Zeit geknabbert. Auch auf Branduardis mächtigem Lockenkopf dominierte das Grau. Und in einer etwas längeren Ansprache klagte der 48jährige in entzückendem „Gastarbeiterdeutsch“ über den Verlust jener Hormone, denen er einst seine Jugend verdankte. Das klang wie der Auftakt eines bunten, musikalisch untermalten Seniorennachmittags der Bremer Heimstiftung. Doch obwohl sich ab und an die „Weißt Du noch, damals...“-Stimmung lieblich über den Saal legte, war Branduardis Auftritt kein Nostalgietrip.

Gemäß des gleich zu Beginn verkündeten Mottos „Musik kann sehr vegetarisch sein – und dann plötzlich Sauerbraten!“ wechselten sich in dem zweistündigen Konzert herzzerreißende Balladen und hüftschwungprovozierende schnelle Stücke in schöner Regelmäßigkeit ab. Zwar verursacht ihm die Bezeichnung „Minnesänger“ nach eigenem Bekunden Gastritis. Doch weder Branduardi noch seine fünfköpfige Band gaben sich große Mühe, weitere Leiden zu verhindern und ihre folkloristischen musikalischen Wurzeln zu verstecken. Selbst die Stücke von der aktuellen CD "Il dito e la luna“, die einen Großteil des Programms ausmachten, klangen so, wie man Branduardi seit „La pulce d'aqua“ halt kennt. Der Mond geisterte durch jedes zweite Lied, Elfen in dunklen Nächten, allerlei seltsames Getier und skurrile Gestalten bevölkern nach wie vor seine phantastischen Welten. Kollektiv träumte sich der Saal hinfort auf saftige, butterblumendurchsetzte Wiesen unter lauter glückliche Menschen, die Ringelrangel ums Lagerfeuer tanzten und den Weisen lauschten.

Solche Träume wirken heute bescheuert und mächtig uncool. Aber: Ach Gott, wir waren alle mal ein paar Jahre 14. Und zuweilen tut es gut, sich daran zu erinnern. Und wenn das in einer musikalisch so hinreißenden Form erfolgt wie in der tangoinspirierten Version desHits „Cogli la prima mela“, wo Ackordeonspieler Christian Toucas und Gitarrist Michele Ascolese als virtuose Instrumentalisten glänzten, dann weiß man, daß der Abend wunderbar war. „Isch habe fertig“, sagte Branduardi, Trappatoni zitierend, zum Abschied. Und isch, isch habe garr kein Auto. – Jahaa, Italiener sind schon witzisch.

Franco „Mamma Miracoli“ Zotta