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Ein Kindergartenglaube –betr.: „Anachronistische Forderungen“, taz vom 26.1.99

Ralf Fücks macht zwei „zeitgemäße“ Vorschlage, wie die Tarifrunde zu gestalten wäre. Daß wir in beiden Punkten nicht zustimmen können, dürfte nicht verwundern. Es wird aber nicht so bekannt sein, daß wir die These von dem Zusammenhang zwischen finanziellem Wohlverhalten der Gewerkschaften und der Beendigung des Personalabbaus oder sogar der Schaffung neuer Stellen im öffentlichen Dienst für einen Kinderglauben halten.

Ein Blick in die Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes verdeutlicht unsere Position. Danach ist von 1992 bis 1997 im unmittelbaren öffentlichen Dienst in beiden Teilen der Republik die Beschäftigungszahl um 627.838 Personen abgebaut worden. Im selben Zeitraum sind die Löhne und Gehälter (durchschnittliches Nettoeinkommen) um 2,1 Prozent (ohne Einmalzahlungen) gestiegen. Das sind Zahlen aus der Regierungszeit von Schwarz-Gelb. Dennoch wird die neue Koalition, für die die DGB-Gewerkschaften sich heftig ins Zeug gelegt haben, keine Wende in der Arbeitsplatzentwicklung im öffentlichen Dienst bringen. So hat Gerhard Schröder in seiner Antrittsrede im Bundestag erklärt: „Wir werden die Verwaltung schlanker und effizienter machen, und wir werden hemmende Bürokratie rasch beenden.“ Der weitere Abbau der Leistungen des öffentlichen Dienstes hat also wenig mit den aktuellen Tarifforderungen zu tun. Die tatsächliche Höhe des Tarifabschlusses ist dabei eine zweite Sache.

Daß die Einkommensentwicklung der ArbeitnehmerInnen (und der Arbeitslosen) in den letzten Jahren negativ verlaufen ist, dürfte nicht ernsthaft umstritten sein. Nach unseren (DGB) Berechnungen hat sich der Anteil des Bruttoeinkommens aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen von 72,4 Prozent (1991) auf 69,4 Prozent (1997) reduziert. Jeder aufgeweckte Zeitgenosse wird die rasante Entwicklung der Einkommen aus Unternehmenstätigkeit und Vermögen in den letzten Jahren zur Kenntnis genommen haben. Daher kann es auch keinen Zweifel geben, daß einmal auf der individuellen Seite ein massiver Bedarf nach Einkommenssteigerung, zum anderen auch ein Bedarf nach Umverteilung besteht. Wir werden freiwillig nicht die Lasten tragen, wenn der Staat auf Steuereinnahmen bei den Unternehmen verzichtet.

Wer eine Nullrunde für die Beschäftigten fordert, aber zwei Prozent von der Lohn- und Gehaltssumme für Ausbildungsplätze, Arbeitszeitmodelle, Fortbildung und sabbaticals ausgeben will, spart nicht, sondern der will die öffentlichen Kassen belasten. Hier ist das Ziel lediglich eine andere Verwendung der Mittel.

Die Erhöhung der Ausbildungsplätze haben wir auch 1998 verhandelt. Resultat aus dem Schlichtungsverfahren: „Die Arbeitgeber erklären ihre Absicht, im Jahre 1998 die Zahl der nach dem Berufsbildungsgesetz neu abzuschließenden Ausbildungsverträge auf dem gegenwärtig hohen Niveau zu halten.“ Wir haben bisher keinen Grund anzunehmen, daß der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Otto Schily, 1999 etwas anderes sagen wird.

Der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit ist im Bundesangestelltenvertrag (§ 15b) grundsätzlich geregelt. Die öffentlichen Arbeitgeber haben sich aber bisher nicht bereit erklärt, den Beschäftigten einen finanziellen Zuschuß zur Reduzierung der Arbeitszeit zu gewähren. Wir würden dagegen schon einen Zuschuß tarifieren.

Daß den Beschäftigten ein finanzieller Anreiz für außerbetriebliche Weiterbildung verschafft werden soll, könnten wir schon begrüßen (Bildung ist das Kapital der Humanressourcen). Die KollegInnen leiden aber nach unseren Erfahrungen nicht unter Antriebsarmut. Wir hören aus den Dienststellen, daß eine Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen durch die erhöhte Arbeitsverdichtung erschwert wird. Es ist keine Vertretung vorhanden, die die Arbeit erledigt. Eine berufliche Auszeit (sabbatical) kostet den Arbeitgeber nix. Die Beschäftigten leisten ihren Anteil für die Gewährung der arbeitsfreien Zeit durch Ansparung selbst (sechs Jahre Teilzeitgehalt bei Vollzeitarbeit). In Berlin existiert diese Möglichkeit für alle LandesbeamtInnen. Die Akzeptanz ist dabei offensichtlich zwingend an das Einkommen gekoppelt (Zuschußfrage siehe Teilzeitarbeit).

Variante zwei: Arbeitszeitreduzierung – um zehn Prozent. Auch diese Variante ist für die öffentlichen Kassen nicht kostenneutral. Die Kämmerer werden sich dafür bedanken, daß einmal ein differenzierter Lohnausgleich gezahlt werden soll und zum anderen die Kosten der Neueinstellungen übernommen werden müssen. Irgendwie scheint die konzeptionelle Ideenentwicklung, gekoppelt mit der Verplanung von fremdem Geld, eine gewisse Sorglosigkeit zu befördern. [...] Alles Illusionen? Aus unserer Sicht platte Polemik und, was viel gravierender ist, ein Beitrag, der von jeglicher Detailkenntnis ungetrübt scheint.

Norbert Konkol, zuständiger Sekretär der Gewerkschaft ÖTV für die Heinrich-Böll-Stiftung

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