: Sanfte Niemandslandästhetik
■ Wo Thoben-Kuchen war, soll Prada werden: Natascha Sadr Haghighian stellt im Laden Fotos und Dias zum urbanen Leerstand aus
Die Galerie an der Schillerstraße ist halb privater Raum und halb Laden. Dieser Spagat paßt zur neueren Kunst, in der ja diverse Lebensstile und soziale Orte wohnzimmerkompatibel zusammengemixt werden. Für ihre Ausstellung hat Natascha Sadr Haghighian das Crossover merklich zurückgeschraubt: rechts eine Vitrine, links ein paar Stühle und an der Längswand starre Diaprojektionen. Statt DJ gibt es ein Kofferradio voll Kiss FM.
Die Kargheit des Interieurs verlängert sich auf Haghighians Fotografien. Es sind Bestandsaufnahmen aus dem Berliner Immobilienalltag: leerstehende Läden, auf deren Fensterscheiben ein gewiefter Promoter Freddy-Quinn-Poster geklebt hat, dann wieder frisch verputzte Fassaden auf dem Weg zur Metropole – von Charlottenburg bis Friedrichshain ist noch einiges zu vermieten. Ständig begegnet man in dieser urbanen Niemandslandästhetik unbesetztem Territorium, für das früher Clubs und Bars die besten Übergangslösungen hergaben. Bei Tage sehen diese tausend Plateaus aber eher nach Berliner Tristesse aus.
Entsprechend desillusioniert liest sich der Kommentar im Infoblatt der Galerie: „Die Projektion ist Einblick oder Ausblick in / auf das, was wir an temporären Zonen schon immer so toll fanden“. Aber der Kulturpessimismus ist nur eine Seite des Projekts, bei dem sich die trüb dokumentarischen Fotos mit üppig ausgestalteten Schaufenstern abwechseln: Computerläden, Biocenter, Prada-Boutique. Diese Füllhörner des Mittelstands hat Haghighian wiederum Wochen zuvor in der Galerie inszeniert und dann als sanft dahinschimmernde Warenwelt abfotografiert. Es ist ein Spiel mit „fast moving consumer goods“, bei dem die Gemengelage doppelt gebrochen ist: Die von Gunter Reski betriebene Off- Galerie wird zum Spiegel einer umgreifenden Gentrifizierung, die im Westteil der Stadt jedoch längst abgeschlossen ist. Das wirkt bei einer Ladengalerie im Umfeld von sozialem Wohnungsbau und zeitlosen Eckkneipen irritierend.
Das Konzept für Haghighians Vitrinenarbeit geht in die entgegengesetzte Richtung. In mehreren Reihen ausgelegte Fotos zeigen Aufnahmen der Biennale-Pavillons in Venedig. Wo im Sommer der Ausstellungstourismus durchgeschleust wird, richten sich im Winter Obdachlose und Junkies ein. Bei fast allen Häusern sind die Scheiben eingeschlagen, unter dem Haus der Japaner sind Matratzenlager eingerichtet, der brasilianische Pavillon wurde komplett zerdeppert. Auch hier geht es um Niemandsland: Weil die Pavillons Ländersache sind, fühlt sich die italienische Polizei nicht für den Erhalt der Häuser zuständig. Ab Mai zieht dort trotzdem wieder der Kunstbetrieb ein. Harald Fricke
Bis 6.2., täglich 16–20 Uhr, Schillerstraße 32
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