: Böser Maschinentakt
■ Tanzherbst: Ein rätselhaft-schöner Abend mit „En-Knap“
Tanz ist schön, macht aber viel Arbeit. Vor allem, wenn die Konzeption einer Aufführung sich beharrlich dagegen sperrt, das spontane Bedürfnis nach leicht interpretierbaren Bildern, nach unmittelbar zugänglichen „Aussagen“ und bruchlos entzifferbaren Geschichten zu befriedigen.
Das Programmheft informiert uns, daß Iztok Kovac, Choreograph des slowenischen Ensembles „En-Knap“, aus einer kleinen slowenischen Bergarbeiterstadt namens Trbovlje stammt. Das, so scheint es, erklärt vieles von dem, was sich auf der Bühne des Schauspielhauses darbietet. Ein Häufchen Kohle, grell beleuchtet von einer kleinen (Gruben-)Lampe, liegt im Hintergrund. Ein hämmernder Beat macht sich breit, die sechs TänzerInnen betreten ganz plötzlich die Bühne. Schnelle, abrupte Bewegungen folgen im abgehackten, metallischen Rhythmus der Musik. Sonnenklar: Die Maschine tanzt die 40-Stunden-Woche, und die geknechtete Kreatur, längst beraubt der mythischen Freiheit des Ringelrangeltanzes ums Lagerfeuer in sternenklarer Nacht, zuckt dazu hilflos mit den Gliedern – Chaplins „Modern Times“ im Gewand eines Tanztheaterstücks der 90er Jahre. Schön, vor allem schön öd, ließe sich „En-Knaps“ Stück „Codes of Cobra“ auf diesen Nenner bringen. Doch zu vieles in der 60minütigen Aufführung widerstrebt der Einordnung in dieses Schema. Zu harmonisch sind die Bewegungen, zu bunt strahlen die Leibchen, viel zu freundlich schauen die Gesichter. Und mit großem Befremden blickt man seinem eigenen Knie dabei zu, wie es im Rhythmus der Musik fröhlich mitwippt. Selbst im postmodernen Zeitalter, wo die großen aufgeklärten Erzählungen der Vernunft und der Freiheit zu Shortstorys verkommen sind, kann Kapitalismuskritik nicht ernstlich so daherkommen.
Ein anderer Versuch. Zwei Tänzerinnen umschleichen nacheinander einen (tatsächlich) blinden Tänzer, winden sich schlangengleich um seinen Körper. Schon erblickt das abendländisch geschulte Auge das Sündenfallmotiv, Adam, Eva, die Schlange, und man ahnt, daß unter dem Kohlehaufen ein großer roter Apfel nur darauf wartet, ausgegraben zu werden. Kovac zitiert die Geschichte und erzählt sie dann doch so, wie sie ihm gefällt. Der Blinde wendet sich ab, die Frau verführt sich selbst. Gerne sähe man darin den neuen Männertypus ins Bild gesetzt, und wäre er nicht blind und damit gar nicht fähig, der nur den Augen zugänglichen tänzerischen Verführung zu verfallen, viel könnten sich die Herren der Schöpfung auf diesen neuen Prototypen einbilden.
Kovac' Inszenierung wirkt wie eine sehr persönliche Collage, trotz großer formaler Stringenz in den Bewegungsabläufen des Ensembles. Die pure Lust, innerhalb des minimalistischen musikalischen Konzepts des Maschinenbeats (Musik: Krunoslav Levacic) anmutige und zugleich rhythmisch angemessene tänzerische Figuren zu finden, treibt Kovac ebenso um wie der Versuch, mitten hinein in dieses primär ästhetische Projekt Biografiefetzen zu integrieren, Lebensgeschichten anzudeuten. Wenn eine Tänzerin zu den Klängen eines amerikanischen Popsongs plötzlich in angstvoller Bewegungslosigkeit verharrt, nachdem sie zuvor wie ein Derwisch den harten Maschinenklang zu interpretieren wußte, dann ist das ein schönes Bild für die existentielle Verunsicherung, mit der sich die Bewohnerin einer slowenischen Bergarbeiterstadt heute konfrontiert sieht. Ein wenig Opfergeste kommt da zum Vorschein, doch Kovac, der nicht nur Choreograph, sondern auch einer der sechs TänzerInnen ist, kann auch anders. Anfang und Ende von „Codes of Cobra“ sind aufgebaut wie ein Kinofilm. „En-Knap presents“ flimmert es über eine Leinwand, in kleinen Porträts werden die SchauspielerInnen des folgenden Stücks vorgestellt und im Abspann kommt der Dank an die SponsorInnen. Ein ironischer Griff zu den Stilmitteln Hollywoods. Doch zwischen den Filmchen waren viele schöne Rätsel zu sehen. – Slowenien muß sehr katholisch sein. Oder? Franco Zotta
Die nächsten Aufführungen des Tanzherbst-Festivals: Companhia Paulo Ribeiro (4.2., 20 Uhr, Schauspielhaus), Tanzlokal (Kurzproduktionen Bremer TänzerInnen, 5.2., 19 Uhr, Schauspielhaus), Compagnie Les Passageurs (5.2., 21 Uhr, MOKS-Theater), Tanzherbst meets Bremer Karneval (5.2., Party im Moments ab 22.30 Uhr)
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