: Zahnlose Sanktionen
■ Flickenteppich Arbeitsschutzrecht: Hamburger starten bundesweite Gesetzesinitiative Von Heike Haarhoff
„Der Abriß der Margarine-Union in Altona zeigt eindeutig, daß unsere Sanktionsinstrumente nicht besonders abschreckend auf Unternehmen wirken.“ Matthias Frommmann, Leiter des Amts für Arbeitsschutz, würde das Abbruch-Unternehmen lieber gestern als heute die Lizenz entziehen und für die gesundheitsgefährdende Asbest-Freisetzung bestrafen.
Doch seine Möglichkeiten sind begrenzt: Wenn Unternehmer ihre Arbeitsschutz-Pflichten verletzen und ihre Angestellten durch Ar-beitsvorgänge mit Chemikalien oder anderen Stoffen gefährden, können Baustellen zwar stillgelegt und Bußgelder verhängt werden. Aber bei 80.000 Betrieben und 750.000 Arbeitsplätzen in Hamburg finden die 130 Mitarbeiter des Amts nur einen Bruchteil der Verstöße. Und die drohenden Strafen lassen viele Unternehmer nur müde lächeln. „In Deutschland geht Eigentums- immer noch vor Lebensrecht“, bedauert Frommann: „Ein schwerer Einbruch wird härter bestraft als Vergewaltigung.“
Weiteres Dilemma, vor dem die Arbeitsschützer stehen: Ihre Rechtsmittel sind in 5000 technischen Regeln und 300 Gesetzen und Verordnungen geregelt. Ein bundeseinheitliches Arbeitsschutzgesetzbuch existiert nicht. „Wir werden gemeinsam mit Hessen im Herbst erneut eine Bundesratsinitiative starten“, kündigt Frommmann an. Ziel sei, ein eigenes Recht zu schaffen: „Beim Umweltrecht hat es auch sehr lange gedauert, bis die Einsicht da war, daß wir es dringend brauchen.“ Dabei geht es Frommann vor allem um mehr Prävention. „Bei dem Fabrik-Abriß beispielsweise kommt dem vorausgehenden Gutachten eine Schlüsselfunktion zu: Wenn dort die Gefahrstoffe nicht exakt festgestellt werden, sind die Folgen verheerend: Bauschutt wird falsch deklariert, Asbest unbemerkt freigesetzt.“ Deshalb fordert Frommann für jede Baustelle eine frühzeitige, verbindliche Gefährdungsanalyse: „Heute ist das Gegenteil der Fall: Die Leute fangen einfach an.“
Auch die Beweislast müsse beim Arbeitsschutz umgekehrt werden: „Wir brauchen erstens eine Regelung, die besagt, daß das Freisetzen von Asbest eine Gesundheitsgefährdung darstellt. Die Höhe des Schadens, nach der heute immer von den Gerichten gefragt wird, ist unerheblich, weil sie ohnehin nicht feststellbar ist. Der Unternehmer – und nicht wir – soll nachweisen müssen, daß er kein Asbest freisetzt.“
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