: Fall James, Jahnn und D.H.a.S.
■ Jahnns „Straßenecke“ im Zwitterverfahren inszeniert
James ist gar nicht James. James, das ist in Esther Hottenrotts und Christian Liffers' Adaption von Hans Henny Jahnns Theaterstück Straßenecke ein Stück Papier mit einem Namen drauf, ein Namensschild. Allerdings nicht irgendein Schild. Viermal wird es in der Aufführung, die die junge, freie Hamburger Gruppe D.H.a.S.-Theater seit Samstag in der Aula der Fachhochschule Averhoffstraße unternimmt, einem der Spieler zugewiesen, dieser wird dann mit schwarzer Schminke als geliebt-gefürchtet-gehaßter Neger kenntlich gemacht, wird vergewaltigt, ausgegrenzt und erschlagen wie ein Vieh.
Wobei sich diese Vorgänge in Hottenrotts/Liffers' Version seltsam unkörperlich, unsinnlich vollziehen. Es wird mehr berichtet, als daß tatsächlich agiert wird. Die Aufführung beginnt wie ein Parteitag, geht weiter wie eine Podiumsdiskussion und mündet ein in eine Verhandlung, eine Gerichtsverhandlung über den Fall James wie auch über den Fall Jahnn: Das Stück Straßenecke selbst ist stets in die Untersuchung einbezogen.
Eine Hans-Henny-Jahnn-Montage aus dem Geiste der Diskurstheorie, eine strenge Untersuchung der „Machtmechanismen Sprache, Projektionen, Abbilder“ (Programmzettel), wie sie sich in diesem Stück manifestieren und „in der heutigen Welt“ (dito) wirksam sind, das hatten Hottenrott und Liffers geplant. Es kam dann allerdings anders. Sie hatten die Rechnung ohne den Verlag gemacht.
Denn es wurde im eigentlichen Sinne gar nicht Jahnns Stück aufgeführt. Die jungen Theatermacher hatten aus Jahnns Text eine eigene Fassung erstellt, eine Collage, in der jeder gesprochene Satz zwar tatsächlich bei Jahnn vorkommt, alle Sätze aber aus dem Zusammenhang gerissen und zu neuen Situationen montiert sind. Wenn man es genau nimmt, wurde nicht Jahnn gezeigt, sondern Hottenrott/Liffers featuring Hans Henny Jahnn.
Der Suhrkamp Verlag, bei dem die Rechte liegen, nahm es genau und verbot die Aufführung, zunächst jedenfalls. Nach einigem Hin und Her einigten sich die Parteien auf einen Kompromiß. Das D.H.a.S.-Theater verpflichtete sich, zwischen den Szenen sowie am Anfang und am Ende den Originaltext zu lesen und so Jahnns Stück wiederherzustellen. Was so in der Aufführung zu sehen ist: eine szenische Lesung, ein Ansatz (siehe oben), aber keine Ausführung; sowie noch etwas anderes: ein Widerstreit zwischen Originalautor und Regieautorenpaar, das hatte auch einen eigenen Reiz.
Nach dieser Aufführung möchte man der jungen Gruppe zweierlei raten. Erstens: Macht weiter so, obwohl dies noch nicht ganz toll war, könnt ihr eine eigene Radikalität entwickeln. Zweitens: Nehmt nächstesmal halt einen Schiller-Text, da sind die Rechte nicht mehr geschützt (Jahnn läßt sich dann ja hineinmontieren).
Dirk Knipphals
Noch bis Mittwoch, 21 Uhr, Aula Averhoffstraße
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