: Senat verzichtet auf S-Bahn
■ Deutsche Bahn AG behält Hamburger S-Bahn / Senat gibt Übernahmepläne auf / Sind die Fahrgäste am Ende die Dummen? Von Florian Marten
Eine kostspielige vieljährige Kaufdebatte ist zu Ende: Die Stadt Hamburg wird das marode Hamburger S-Bahn-System nicht übernehmen. Die Deutsche Bahn AG will und wird es behalten. Mit dieser Entscheidung, so befürchten Experten, wird sich an der miserablen S-Bahn-Qualität in absehbarer Zeit nur wenig ändern. Die DB AG ihrerseits hofft, dank der geänderten Gesetzeslage in Sachen Nahverkehrsfinanzierung ab dem 1. Januar 1996 in Hamburg ordentlich Geld verdienen zu können.
Noch zu Beginn der 90er Jahre wollte die Bundesbahn ihre Nahverkehrsunternehmen dringend loswerden. Neben Plänen zum Verkauf ihrer Bahnbusgesellschaften stand die Bahn in Hamburg auf der Matte und bot Stadtchef Henning Voscherau die S-Bahn als Geschenk an. Voscherau revanchierte sich mit einem eigenen Geschenk: Er heuerte den Ex-FDP-Senator Wilhelm Rahlfs für die Prüfung der S-Bahn-Übernahme an. Seine Arbeit brachte keinen Erkenntnisgewinn.
Erst mehrere Millionen Mark und zwei Jahre später legte dann die international renommierte Gutachterfirma Booz/Allen & Hamil-ton 1994, beauftragt von Senat und Bundesverkehrsministerium, eine Studie zu Wert und Zustand des Hamburger S-Bahn-Systems vor, die fast alle Befürchtungen bestätigte: Das Durchschnittsalter des Wagenparks liegt bei über 30 Jahren und damit „über der im Durchschnitt angesetzten technischen Lebensdauer“. Kein Wunder, daß die Instandhal-tungskosten in den letzten Jahren mit zweistelligen Zuwachsraten förmlich explodierten. Ähnlich schlimm ist es um die Bahnelektrik bestellt: „30 Prozent der 25-Kilovolt-Kabel und neun Prozent der Unterwerke“, so notieren die Gutachter, „haben die technische Lebensdauer von 40 Jahren bereits überschritten“. Auch die Signalanlagen sind technisch rückständig und überaltert.
Fazit der Gutachter: „Der Gegenwartswert der Hamburger Gleichstrom-S-Bahn beträgt minus 2,958 Milliarden DM.“ Die Gutachter empfahlen, daß der Bund entsprechende Zuschüsse leisten sollte – vorausgesetzt, ein privater Träger übernähme die S-Bahn, zum Beispiel die Hamburger Hochbahn AG. Dadurch sei die „Realisierungswahrscheinlich-keit“ von Rationalisierung, Modernisierung und Leistungsverbesserungen erheblich „höher“, als wenn die DB AG den Zuschlag erhielte. Das wird in dem Gutachten so begründet: „Die zukünftige DB AG würde Reformeffekte nicht an die Hansestadt weitergeben“, sprich Kunden und Stadt bezahlen, aber nicht profitieren lassen.
Schon bei Vorlage des Gutachtens hatte die Bahn AG, gerade von der Behördenbahn zur Staatsbahn AG mutiert, jedes Interesse am Verkauf verloren. Nach dem 1. Januar 1996, so wußte sie, wird der Nahverkehr in Deutschland zur sprudelnden Gewinnquelle, da Städte, Landkreise und Bundesländer den gewünschten Nahverkehr auch auf der Schiene voll bezahlen müssen. Einzige Gegenwehr der öffentlichen Hände gegen Monopolpreise und Qualitätsdumping der Bahn wären öffentliche Ausschreibungen, die ebenfalls im kommenden Jahr möglich sind.
Hinrich Krey, Chef der Consultingfirma SCI Verkehr: „Hamburg sollte die S-Bahn-Leistung europaweit ausschreiben und sich dann einen unabhängigen Investor suchen, der hier ein gutes und zukunftsweisendes S-Bahn-System verwirklichen möchte.“ Der Hamburger Senat hat sich jetzt für einen anderen Weg entschieden. Statt die DB AG unter Druck zu setzen, ist ein Schmusekurs angesagt. Beteiligt sich die Stadt schon mit fast 10 Prozent am Kauf von 45 neuen S-Bahn-Kurzzügen, die ab Ende 1996 zum Einsatz kommen werden, so überschüttet der Senat die Bahn in den kommenden Jahren geradezu mit Geld. Hamburg leitet 1996 und 1997 jeweils 133 Millionen Mark an die Bahn weiter und damit die gesamte Summe, welche Hamburg als Ausgleich für seine neuen Nahverkehrszuständigkeiten vom Bund erhält. Hamburg hofft durch dieses Entgegenkommen, die Bahn zu einigen überfälligen Investitionen ins Netz zu veranlassen. Eine Garantie dafür gibt es nicht.
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