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Pappe und Tassen

■ Kampnagel: Les Ballets C. de la B. mit „Everyman“

Ticks, Zuckungen, Krämpfe und Stottern in einem Raum höchst begrenzter Privatsphäre und gelangweilter gegenseitiger Kenntnis. Die nicht ganz gewöhnliche Familie, die aus dem Pappkarton kam, spielt Everyman. Doch trotz der scheinbaren Normalität ist schon mit den ersten Bildern völlig klar, daß man es hier mit allem anderen als einer Ansammlung von Allerweltstypen zu tun hat. Eine Frau und vier Kerls in subproletarischer Garderobe, das sind die Belgier Les Ballets C. de la B., die mit ihrer Produktion Everyman die monatliche Reihe Tanz auf Kampnagel eröffneten.

Als mittelmäßig schräge Vögel hängen sie sich an die Wäscheleine, filzen und befummeln sich, wechseln die Schuhe, rauchen und brechen auf zur Erfindung von Namen für ein ungeborenes Kind. So läuft die Skizzenfolge der Nebensächlichkeiten unbekümmert fort. „Wer-darf-auf-welchem-Platz-sitzen“ tritt über in eine kurze Tanzveranstaltung zur Orchesterfassung von „Auf der Reeperbahn nachts um halb 1“, das Leben im großen würfelförmigen Pappkarton, das auf einem Ferseher in den Raum übertragen wird, erlebt gemeinsames Mampfen wie ein Erdbeben, und schließlich wird mit klappernden Tassen getanzt und gezittert.

All das ist wenig zwingend zusammengefügt, ergibt aber mit der Zeit einen gemächlich frohen Bogen aus interessanten Bildideen, eingermaßen schlampig getanzten Choreografien und inszeniertem Alltag in freundlicher Poesie. Da läßt es sich schmunzeln und stieren und gelegentliche Einfälle beklatschen. Etwa wenn sich zwei Paare zu zwei Personen zusammenschließen, von der die vordere teilnahmslos in den Armen der hinteren hängt, die absurde Laute und Dialoge für sie spricht.

Mal neckt man sich, mal demonstrieren zwei Brüder die Schwierigkeiten der Ankleidung von einem, der lieber liegen und schlafen will, dann singt ein alter Mann in einer der wenige ergreifenden Szenen des Stückes, ein Lied im Halbdunkeln, begleitet von der alten Frau, die nur im Monitor lebt.

Insgesamt aber verlangt die Choreografie von Hans van den Broeck in ihrer fragmentarisch-zufälligen Erzählweise doch einiges an gutem Willen vom Publikum, weil Spannung und Gespanntheit fehlt.

Till Briegleb

Noch bis 4. Oktober

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