: Unterm Strich
Das prosaische Unternehmen Expo 2000 gebiert überraschend poetische Produkte. Im großen Geldertopf, der für die Hannoveraner Weltausstellung zur Verfügung steht, ist auch ein Posten für eine Poetische Landschaft eingeplant. Die soll in der ostwestfälisch-lippischen Region zwischen Bad Salzuflen und Vlotho an der Weser entstehen und Orte für Gedichte schaffen. Zwölf Schriftsteller haben für, über und inspiriert durch das Lipper Bergland gedichtet. Und der Architekt Peter Zumthor wird für jeden einzelnen Text ein Bauwerk errichten, in dem sie „in idealer Weise zu lesen sein werden“. Wie das? In der Presseerklärung lesen wir: „Eine Besucherin und ein Besucher, die sich den Schlüssel zu einem dieser Häuser besorgt haben, öffnen die Tür, betreten den Raum. Sie befinden sich in der Landschaft, spüren sie, ohne sie zu sehen. Pures Licht, reine Farbe, Wolken ziehen vorüber. Auf einer leicht geneigten Tischfläche, gut ins Licht gerückt, ist der Text zu lesen, der für diesen Ort geschrieben wurde und der nur hier zu lesen ist.“ Doch nein, nicht nur hier. Heute auch schon ein bißchen in der taz. Von Michael Donhauser heißt es etwa: „Die Poetische Landschaft ist ein Vision ähnlich der verschneiten, eine Landschaft, die hell scheint, dunkler auch, blendet.“ Und Cees Nooteboom schreibt: „Die Poesie, die ich darüber schreibe, ist eine Meditation über das, was Sehen ist, was das Auge impliziert, was der Unterschied ist zwischen dem Gesicht und dem Gesehenen.“
Eine ganz andere poetische Landschaft ist seit gestern in der europäischen Kulturstadt Weimar zu besichtigen. Die ganze Stadt war am offiziellen Eröffnungstag ein festlicher Umzug, mit Feuerwerk und Musik und Tanz. Und Roman Herzog mahnte bei der Eröffnungsfeier einen lebendigereren Umgang mit den Klassikern an. Man benötige in der heutigen Zeit wieder einen literarischen Kanon, meinte der Bundespräsident. Wenn es gar keine gemeinsamen Grundlagen mehr gebe, werde eine Verständigung über die Grundthemen des Zusammenlebens immer schwerer. „Wir müssen vor allem bedenken“, so der Präsident vor 800 geladenen Gästen, „welches Erbe, welche Kultur wir in das zusammenwachsende Europa einbringen können und wollen.“
Enthüllungsbestätigungen werden in der gestrigen Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen vermeldet: Binjamin Wilkomirski, der in seinem Buch „Bruchstücke“ behauptet hatte, als Kind lettischer Juden die nationalsozialistischen Vernichtungslager überlebt zu haben und 1948 von Schweizer Pflegeeltern adoptiert worden zu sein, wurde offenbar tatsächlich 1941 in der Schweiz geboren. Diese schon seit geraumer Zeit angestellte Vermutung wurde jetzt von der Vormundschaftsbehörde Biel bestätigt. Für die Behauptung Wilkomirskis, es handele sich um einen Fall von Kindesvertauschung, lägen keine Anzeichen vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen