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Zauberstifte! Und Bärionetten!

■ Bastelmesse „Creativa 99“ in den Dortmunder Westfalenhallen

Moment, was steht da auf dem Schild? „Tierkinder zum Selbermachen“. Oha. So weit sind die nun also schon mit ihrer Klonerei. Nein, doch nicht, sind bloß aus Keramik, die Tierkinder. Aber die grauhaarige Dame, die entrückt lächelnd sich ihrer Holzsägearbeit (auch Tierkind?) hingibt – die ist echt.

Malen, stricken, töpfern, zusammenleimen und ...

Die „Creativa 99“ ist eine Art Frankfurter Buchmesse für Leute, die Buchstützen töpfern. Oder nähen. Oder malen, stricken, zusammenleimen. Und nicht nur Buchstützen, auch Fensterschmuck, Teller und Taschen, Kerzen und Kannen. Kurz: Kleinkram. Die „Creativa“ ist deshalb Frauensache, denn Männer bauen ja immer gleich Schrankwände und Sitzlandschaften, klotzig und nach Schema F, und wo die „Stupida“ stattfindet, weiß niemand; hier jedenfalls nicht.

„Ich hab mir das nicht so brechend voll vorgestellt“, sagt eine Kreative zu ihrer Freundin. Die wühlt gerade in einer Auswahl von „Naturknöpfen“ aus biologischem Knopfanbau. Dicht gedrängt stehen schöpferisch Begabte vor Feng-Shui-Windspielen, Schäferhund-Statuen, dekorativem Seidentuch und Kakteen in Glashäuschen. „Holz bohren statt Nasenbohren“ – Menschen, die auf Reklametafeln derlei Leitsätze formulieren, sind zu vielem fähig. Raffinierte Werkzeuge stehen ihnen zur Verfügung. Zum Beispiel der „Zauberstift“, mit dem sich Farben auf dem Papier nachträglich verändern lassen. Teufelswerk? „Absolut ungiftig“, sagt der Herr von der Zauberstiftfirma.

Ein paar Meter weiter präsentiert einer seiner Kollegen „Nähen ohne Nadel und Faden“. „Das funktioniert genauso wie beim Fahrradflicken“, sagt der Herr von der Nähzeugfirma. „Würfelspiel ohne Würfel“? Fördert die Phantasie! „Besaufen ohne Alkohol“? Unkreativ. Und zum Glück eh unmöglich. Die Mars-Riegel am Süßwarenstand sind auffallend ambitioniert angeordnet, bilden geometrische Figuren; die „Liste der zugelassenen Konservierungsstoffe“ am Imbiß bietet ungeahnte Vielfalt. Zufälle?

Wohl nicht. Kreativität steckt an. Und sie findet ihren Ausdruck nicht allein in fein gewirkten Dingen, sondern auch in sprachlicher Brillanz: „Pappelapapp“ heißt der Papier-Workshop für Kinder, „Bärionette“ ein Teddy mit Fäden an den Gliedmaßen. Auf einem Spruchtäfelchen ist zu lesen: „Mutter, ich danke Dir, daß Du es aushältst mit mir.“ Und mit meiner Mario-, Bäridingsbums.

Wenn dann die „Creativa“ am Sonntag zu Ende geht, strömen die Kreativen hinaus – zum „6. Ladbergener Bärenfest“ im Juni etwa. (Überhaupt Bären – die Wappentiere der Bastler-, Maler-, NäherInnen!). Oder zu „Home-Parties“ nach dem Tupperware-Prinzip, auf denen Stoffe, Gardinen etc. verscherbelt werden – listig richtet sich eine Einrichtungsfirma per Faltblatt an potentielle Party-Gastgeber: „Haben Sie einen Freundeskreis?“

... dem Nachbarn die werkelnde Hand reichen

Vielleicht nicht mehr lange. Indes: Spott ist nicht angebracht. Deutschlands Kreative reichen den Nachbarn die werkelnde Hand – davon zeugen Klöppelei aus den Niederlanden und Stickerei aus Dänemark –, die Beschäftigung mit Kunstgewerbe öffnet gar eine unkonventionelle Sicht auf die „große Politik“: Was ist der Bundeskanzler letztlich anderes als „Soft Flex – der weiche Schmuckdraht“? Kreative Energie wird umgesetzt in einem fort.

Wem dies zu flippig, zu flirrend scheint: Freilich gibt es Institutionen, die an Althergebrachtem festhalten. Ausdrücklich empfohlen sei konservativen Naturen eine Stippvisite am Stand 8204, Halle 8: Die Deutsche Post AG überzeugt mit gediegenem Schalter-Ambiente, offeriert Telefonkarten und Sonderstempel. Gewiß ist sie auch im Jahr 2000 wieder dabei. Mit einer Sondermarke anläßlich der ersten geklonten Buchstütze im Bärenfell. Andreas Milk „Creativa 99“, Westfalenhallen Dortmund, bis 21. März, 9 bis 18 Uhr

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