: Mit viel Gefühl und zwei Jahren Zeit
Die Franzosen mögen ihr einziges Boulevardblatt „France-Soir“ nicht mehr lesen. Nun hat es ein windiger Sanierer übernommen – der mußte gerade einen Franc dafür bezahlen ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Es war einmal ein Abendblatt. Das hatte die reißerischsten Ereignisse Frankreichs auf seinem schwarzweißen gigantischen Titelblatt – garniert mit viel Blut und Sex. Weiter hinten bot es Geheimdienstgeschichten und französelnde Identitätspflege. Es gab keine gutbesuchte Bar und keinen populären Strand, wo die Verkäufer fehlten, die es ausriefen: France-Soir. In den besten Zeiten verkauften sie über eine Million Exemplare der täglich sechs Ausgaben. Kein anderes französisches Blatt konnte da mithalten.
Das war Mitte der 50er Jahre. Seither ist der Ruf der ambulanten Verkäufer verstummt. Auch am Kiosk läuft France-Soir nur noch schleppend. 156.000 verkaufte Exemplare von nur noch einer täglichen Ausgabe und monatlich über drei Millionen Mark minus lauten die Zahlen. Nicht nur auf dem Boulevard geht es schlecht. Der gesamte französische Zeitungsmarkt ist durch sinkende Auflagen und Erlöse gekennzeichnet.
France-Soir aber wurde am Montag erst einmal verkauft. Für einen läppischen Franc (ca. 30 Pfennig). Der Käufer, ein Geschäftsmann namens Georges Ghosn, der einen Ruf als rabiater Zeitungssanierer hat, verpflichtete sich, rund 46 Millionen Mark in France-Soir zu investieren und das Blatt in den nächsten zwei Jahren nicht einzustellen.
Viel Geld hatte in den vergangenen Jahren auch schon der Hersant-Verlag, der auch das seriöse konservative Flaggschiff Le Figaro herausgibt, in das Blatt investiert, in das er 1976 eingestiegen war. Zuletzt pumpte der Verlag 1998 ein paar Millionen in France-Soir, senkte den Preis und machte, wie in der Zeitungsbranche in solchen Fällen üblich, ein neues Layout.
Doch der Niedergang war nicht aufzuhalten. Der Hersant-Verlag, der schon lange versuchte, die Boulevard-Last loszuwerden, will sich künftig ganz auf den Figaro konzentrieren, der ebenfalls kränkelt. Im Herbst soll auch er ein neues Layout bekommen – made in England, unter Beratung des ebenfalls konservativen Daily Telegraph. Bei France-Soir kann nun Geschäftsmann Ghosn walten. Die Belegschaft befürchtet, daß er sich dabei an seiner Sanierungsarbeit in anderen, kleineren Pariser Zeitungen – wie La Tribune oder Le Nouvel Économiste – orientiert, die er seit Anfang der 80er Jahre aufkaufte und bald wieder verscherbelte. Ghosn, der auch einen Presseausweis besitzt, versichert, er habe ein journalistisches Konzept für France-Soir: Er will den Preis anheben und das Blatt wie in den alten Zeiten wieder zu einer Abendzeitung für den Heimweg von der Arbeit machen. Seine Ingredienzien: ein tägliches Pin-up- Girl und viele Emotionen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen