: Die Legende als Wiedergänger
■ Heute erhält Clint Eastwood den Douglas-Sirk-Preis des Filmfestes Hamburg / Ein Porträt
Wer über Clint Eastwood spricht, muß von Mythen reden. Genauer gesagt, von Mythen, ihrer Brechung oder Zerstörung und dem Wiederauferstehen des Mythos in der Auseinandersetzung mit ihm. Die Schwierigkeit liegt dabei in der Fülle der unterschiedlichen Legenden und Traditionen, mit denen sich Eastwood-Filme seit über dreißig Jahren beschäftigen: ganz gleich, ob er nun als Schauspieler, Regisseur oder in der Doppelfunktion an ihnen beteiligt war.
Vom kalten Revolvermann der Sergio-Leone-Western in den 60ern über Don Siegels Dirty Harry, den harten Großstadtpolizisten mit krimineller Vigilanten-Manier, entwickelte sich das Bild, der Star Clint Eastwood: ein wortkarger, zweifelhafter Mann, der in seiner Souveränität und Entschlossenheit ebenso faszinierend wirkt wie durch die Unmöglichkeit, ihn mit klassischen Heldencharakteristika zu greifen.
Was Siegel und Leone mit Eastwood erschaffen hatten, war zum einen die Dekonstruktion des Helden als unfehl- und untadelbarem Übermann; dieser hier gab sich wenig altruistisch, und wer ihn um Gnade bat, war an den Falschen geraten. Eastwood war Siegels und Leones Katalysator in ihrer Auseinandersetzung mit Kino-Mythen, die wie im Polizei-Film oder Western immer schon von mehr als nur von Film sprachen. Zum anderen aber geriet aus dem in sich gebrochenen Anti-Helden selbst die Legende, die dann Clint Eastwood hieß und sich gerade durch die Zweifelhaftigkeit und scheinbare moralische Unbelecktheit auszeichnete.
Hier, so schien es, lebte ein Kerl eher skrupellos seine unzivilisierte Männlichkeit aus, setzte sich über Vorgesetzte oder sonstige Behinderungen hinweg und folgte dem, was er ganz allein für richtig hielt. Eastwoods Physiognomie und zynische Coolness wurde zum viel kritisierten Inbegriff neuer Helden und neuer Männlichkeit im Kino, und so war gegen den Willen des Schauspielers doch John Waynes Wunsch wahr geworden: Clint Eastwood hatte seine Nachfolge angetreten, aus dem Bruch mit dem klassischen Westernhelden war eine neue sagenhafte Figur mit weitreichenden Konsequenzen entstanden. Bruch und Demontage, die Ursprünge des eastwoodschen Helden, hatten es da bald genug mit dem neuen Ideal, mit Clint Eastwood selbst zu tun, und Don Siegel machte 1970 mit Betrogen einen ersten Anfang. Er ließ Eastwood als Mann in einer weiblichen Gesellschaft drastisch scheitern. Ein Jahr später begann die Laufbahn des Regisseurs Clint Eastwood, in der es immer wieder um zwei Themen gehen sollte, deren Wurzeln wiederum bei seinen Regie-Vätern Siegel und Leone zu finden sind: Zeit, vor allem bei Don Siegel ein Zentrum, ist das eine, die Legende, wie könnte es anders sein, das andere.
In seiner Auseinandersetzung mit dem eigenen Männlichkeits- und Heldenmythos spielt und inszeniert Eastwood zumeist Helden in Zeitnot oder solche, deren Zeit, wie die der Legende, eigentlich längst abgelaufen ist. Die meisten haben keine Zukunft mehr und müssen sich darum mit ihrer Vergangenheit beschäftigen, sie mit dem Augenblick in Beziehung setzen. Dem Honkytonk Man bleibt nur noch kurze Zeit zu leben, der Pale Rider ist schon längst tot, und Kevin Costner nennt in Perfect World sein Auto, mit dem er vor seinem Ende davonfährt, „eine Zeitmaschine“.
Eastwood zeigt dabei regelmäßig, am spektakulärsten in Erbarmungslos, die Demontage von Legenden, zugleich aber gibt er ihnen darüber als eine Art „romantischer Dekonstruktivist“ immer wieder Raum. Mit der Versicherung, schlußendlich ja den Mythos zu zerstören, verschafft Eastwood ihm immer noch die Zeit zu wirken – der fast schon sentimentale Blick auf das Unmögliche läßt den Mythos vom starken Mann oder der heilen Vater-Sohn-Welt noch einmal vor seinem endgültigen (?) Ende wiederauferstehen.
Immer in der Auseinandersetzung mit sich selbst bewegt sich Clint Eastwood zwischen Aufklärung und Romantik. In seinem neuesten Film Die Brücken am Fluß, den er heute in Hamburg im Rahmen einer Premiere vorstellen wird, läßt er sich selbst sagen: „Wenn man älter wird, wird die Angst größer. Die Angst, gekannt worden zu sein, für das, was man getan hat.“
Jan Distelmeyer
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