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„Der Rieger ist doch kein Opfer“

■ Im taz-Interview: Vier Menschen „aus verschiedenen autonomen antifaschistischen Zusammenhängen“ zum Überfall auf Rechts-Anwalt Jürgen Rieger am Mittwoch voriger Woche

Welchen Sinn und Zweck soll es gehabt haben, Rieger zu verprügeln?

Es ging konkret darum, Riegers Aktionsradius zumindest vorübergehend einzuschränken, auch weil er von staatlicher Seite bis jetzt relativ unbehelligt gelassen wurde. Wir haben gezeigt, daß auch ein hoher Nazi-Funktionär wie Rieger angreifbar ist. So eine Aktion hat Symbolfunktion: Wenn man sich als überzeugter Nazi so exponiert, setzt man sich auch einer realen physischen Gefährdung aus.

Nun dient solche Gewalt auch als Legitimation für Gegengewalt.

Die Gewalt der Nazis war früher da als linke Militanz, und sie richtet sich undifferenziert gegen alle möglichen Menschen. Während Nazis bewußt Tote einkalkulieren, hat von uns niemand ein Interesse daran, einen Faschisten wie Rieger zu töten.

Dieses Gerede von den siamesischen Zwillingen – Nazis auf der einen Seite, Autonome auf der anderen Seite –, die sich gegenseitig die Köpfe einhauen, während dem Staat eine neutrale, schlichtende Rolle zukommt, ist hanebüchen. Der Rieger ist doch kein Opfer, solche Rede zeugt von einer Verdrehung der Ursachen von Gewalt.

Im Gegensatz zu den Neo-Nazis problematisieren wir Gewalt und halten sie für überwindbar. Es hat sich in der Vergangenheit aber oftmals gezeigt, daß antifaschistische Selbsthilfe ihre Berechtigung hat. In Gegenden, wo Antifas aktiv waren, wurde dem Nazitreiben Einhalt geboten.

Selbstjustiz statt Strafrecht?

Militanz ist nicht das Primat antifaschistischer Politik. Wir sprechen dem Staat jedoch die Legitimation für sein Gewaltmonopol ab. Wir müssen selber gegen die Faschisten vorgehen, was nicht heißt, daß das von vornherein militant sein muß, aber wir behalten uns selber die Mittel vor.

Und die waren in diesem Fall angemessen?

Ja, aber es ist natürlich immer eine Gratwanderung zu entscheiden, welche Aktionsform am angemessensten ist. Es ist nicht ausgeschlossen, daß wir da auch mal eine Situation politisch falsch einschätzen oder taktisch oder strategisch falsch bewerten.

Militantes Vorgehen gegen Nazis ist nicht das Allheilmittel. Wir sind uns sehr wohl über die Problematik eines solchen Vorgehens bewußt. Diese Aktion soll keinen Vorbildcharakter haben, sie kann andere Aktionsformen nur ergänzen.

Die Medien haben dafür nur wenig Verständnis gezeigt.

Bürgerliche Berichterstattung kann nicht einziger Orientierungspunkt unserer Politik sein.

Warum sprecht ihr dann mit einem so bürgerlichen Blatt wie der taz?

Einige Stunden nach der Aktion ist eine Presseerklärung rausgegangen, in der verschiedene antifaschistische Gruppen ihre Solidarität mit der Aktion und vor allem mit unserem inhaftierten Genossen erklären. Obwohl mit keiner Silbe ein Bekenntnis zu der Aktion abgelegt wird, haben einige Medien und der Haftrichter daraus ein „BekennerInnenschreiben“ gemacht, um abzuleiten, daß die Aktion länger vorbereitet war. Damit wiederum soll unser inhaftierter Genosse zusätzlich belastet werden.

Er wird nun stellvertretend für ein antifaschistisches Selbstverständnis angeklagt, das keine staatstragende, appellierende Ebene hat, sondern das auch immer auf die eigene antifaschistische Selbsthilfe, sprich auch die militante Auseinandersetzung mit Nazis baut...

...und einen rechten Märtyrer geschaffen hat.

Wir haben nicht so den Bock, uns auf diese Ebene einzulassen. Der Aspekt der Einschüchterung genießt Vorrang vor der Märtyrerbildung.

War der Angriff spontan? Es wimmelte von Polizei in und vor dem Gerichtsgebäude.

Wir wollen hierzu keine Spekulationen befördern, um unseren inhaftierten Genossen zu schützen. Eine gute Aktion vermittelt sich von selbst. Und das ist geschehen, nicht nur bei den BerufspolitikerInnen in der Szene, sondern gerade auch außerhalb.

Was soll denn durch diese Aktion in eurem Sinne verändert worden sein?

Es ist eine Diskussion angeschoben worden. Solche Aktionen können zur Politisierung von Menschen beitragen; zum Beispiel sind auch von nicht-autonomen FreundInnen positive Rückmeldungen gekommen.

Und was, glaubt ihr, hält die Öffentlichkeit davon?

Es ist schwer, in der Öffentlichkeit unseren antifaschistischen Kampf zu legitimieren. Es gibt zwar schon einen Anti-Nazi-Konsens in der Gesellschaft, und seit neuestem hat auch der Staat ein Interesse an einem aufpolierten antifaschistischen Image. Aber er hat kein glaubwürdiges Interesse an der Verfolgung der Rechten, sondern ein taktisches Verhältnis zu ihnen. Jetzt erst werden Organisationen verboten, die der Staat jahrelang ignoriert hat. Noch vor zwei Jahren hat er Nazis funktionalisiert, indem er die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen dazu genutzt hat, das Asylrecht zu demontieren.

Um eine Bilanz zu ziehen: Für ein paar Kopfnüsse, einen Märtyrer und etwas Symbolwirkung sitzt ein Antifaschist im Gefängnis.

Sicherlich ist es absolut bedauernswert, daß jetzt ein Genosse wegen dieser Aktion im Knast sitzt. Aber das muß jede Antifaschistin und jeder Antifaschist einkalkulieren, daß man bei solchen Aktionsformen auch mit staatlicher Repression zu rechnen hat.

Aber natürlich tun wir alles, unseren Genossen wieder rauszuholen. Wir versuchen auch, ihm Geld und Bücher zukommen zu lassen. Und was zu essen. Fragen: taz

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