: Großreinemachen mit dem seelischen Chaos
■ Zuviel des Guten: Jeff Barons „Besuch bei Mr. Green“ im Ernst Deutsch Theater
So, heute basteln wir uns ein richtig nettes politisch korrektes Stück: Wir nehmen einen alten und einen jungen Mann, um mal ein paar wichtige Dinge zum Thema Generationskonflikt zu sagen. Der alte Mann ist natürlich stinkkonservativ, verbittert und mit seiner Tochter zerstritten. Der junge ist modern, aufgeklärt und – mmh – vielleicht schwul? Genau: Er ist schwul. Kommt immer gut. Jetzt fehlt aber noch irgendwas. Ach ja: Die beiden sind Juden. Prima! Dann kann man auch so wunderbar die Parallele ziehen zwischen Homosexuellen und Juden bezüglich Diskriminierung und so...
Natürlich wäre es nicht richtig, zu behaupten, der Amerikaner Jeff Baron sei genau so vorgegangen, als er Besuch bei Mr. Green schrieb, das gestern im Ernst Deutsch Theater Premiere hatte. Es wäre sogar ziemlich ungerecht, denn Jeff Baron, selbst homosexuell, hat in dem Drama, das vom unfreiwilligen Zusammentreffen zweier gesellschaftlicher Außenseiter erzählt, Erfahrungen aus seinem eigenen Leben verarbeitet und dabei bestimmt nicht an den Profit gedacht.
Dem autobiographischen Hintergrund verdankt das Stück denn auch seine stärkste Szene: Robert Gärtner (Lutz Herkenrath) erzählt dem verlegen-hilflosen Herrn Grün (Joachim Bliese) von seinem Coming-out und von der Einsamkeit, unter der er wegen seiner Homosexualität leidet. Das wirkt so authentisch und nah, daß man am Ende tief schlucken muß, um den Kloß im Hals erstmal wieder loszuwerden.
Überhaupt gelingt es dem Regisseur Helmut Polixa, die beiden gegensätzlichen Charaktere – den fast enervierend dynamischen und gutgelaunten Robert und den in seiner konsequenten Bärbeißigkeit lächerlich wirkenden Grün – deutlich herauszuarbeiten. Das seelische Chaos der beiden Protagonisten wird durch das Bühnenbild noch verstärkt: Unzählige Schränke in allen Größen und Formen, Pappkartonstapel und herabhängende Hemden beherrschen die Szene.
Und doch: Zwei Stunden political correctness pur sind einfach zuviel des Guten und des Richtigen. Wie soll man zu eigenen Erkenntnissen gelangen, wenn stets der Zeigefinger wedelt. Vielleicht liegt diese Überdeutlichkeit ja darin begründet, daß Baron, bevor er mit Mr. Green sein erstes Stück schrieb, Filmscripts verfaßt hat. Denn ein wenig wirkt Besuch bei Mr. Green wie eine hochmoralische US-Schnulze, in denen sich am Ende alle erleichtert schluchzend in den Armen liegen, weil sie erkannt haben: Eigentlich sind ja alle Menschen gleich und gut. Schluck.
Kristina Maroldt
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