: Aus der Magengrube
Apokalyptisches Leuchten: Die Gruftieband Deine Lakaien trifft den Nerv der Zeit. Warum? Ein Ortstermin ■ Von Susanne Messner
Die Bühne ist in violettblaues Licht getaucht. Es brummt ewig vor sich hin, bis die Band kommt. Ernst Horn, von dem sich Fans auch nach dreizehn Jahren noch zuraunen, er sei studierter Schlagzeuger, Pianist und Dirigent, stolziert stocksteif zu seinen Geräten. Sänger Veljanov ist in gewohnter Montur, mit geklöppelter Vogelnestfrisur und in gediegenem Gehrock, von dem er trotz der Hitze nicht lassen will. Er verbeugt sich artig hölzern, und los geht's.
Fast alle Stücke der Lakaien sind mehr Sound als Song, mehr gleichbleibender Plüschteppich als Dramaturgie. Veljanov, der sich selten bewegt, ist immer darauf bedacht, seine Stimme von so tief wie möglich heraufseufzen zu lassen, mitten aus der Magengrube quasi. Es geht nicht um Modulation, sondern darum, den Raum der Berliner Columbiahalle durch butterweichen, zerfaserten Klang zum Vibrieren zu bringen. Und wie es vibriert: Die Menschen wiegen sich sacht, jeder in sich selbst versenkt, dennoch entsteht ein ozeanisches Gemeinschaftsgefühl – bei 30 beats per minute!
Auch auf ihrem neuen Album „Kasmodiah“ erinnern die Rhythmen der Lakaien immer noch an zufallende schmiedeeiserne Schloßtüren und Kirchenglocken. Mittelalter-Instrumente sorgen für das Quentchen Folklore, Elektronik dient nur zur Bestätigung gefühliger Gewohnheiten. Wie auf allen ihren Alben geht es textlich um die Suche nach Liebe, Gott und die Kritik am schnöden Mammon. Einmal gibt es einen jämmerlichen Vampirschrei von sehr weit weg. Selten hat ein Song mal was Eingängiges, Haftenbleibendes oder aufgekratzt Nervöses.
Ein Rätsel, warum ausgerechnet Deine Lakaien den Nerv der Zeit getroffen haben – die klassische Gruftieband hat es auf Platz vier der deutschen Albumcharts geschafft. Deine Lakaien besetzen eine Schnittstelle: Sie verkörpern die Besonderheiten und Vorlieben der „schwarzen Zunft“ in so lauwarmer Form, daß sich sowohl die alten Gothics aus dem Westen als auch Normalos mit Hang zur Romantik, Melancholie und Untergangsstimmung angesprochen fühlen. Und natürlich die Ostler, die neue Kaufkraft, einerseits schon immer ziellose Utopisten, andererseits in bezug auf gestylte Coolness, Dekadenz und Glamour nachholbedürftig.
Deine Lakaien zelebrieren die Absage an jegliche Körperlichkeit, die nackten Oberkörper ihrer östlichen Kollegen Rammstein oder Subway To Sally müssen ihnen ein Greuel sein. In ihrem ganzen Auftreten verkörpern sie Begrenzung, Entschleunigung, Bescheidenheit und Respekt. Ihre Musik funktioniert bestens in verlassenen Landschaften, in Dörfern und Kleinstädten mit kontrollierten Strukturen, in der Metropole höchstens mit Walkman, abgeschnitten von der lärmenden Außenwelt, schlendernd, am besten mit einer Schildkröte an der Leine.
Deine Lakaien richten sich an ein ähnliches Publikum wie die bösen Buben Rammstein, Wolfsheim und Joachim Witt, wie diese machen sie Musik für Technikverlierer. Für Bankangestellte, Krankenpfleger und Steuerfachgehilfinnen, die die moderne Welt fremd und unübersichtlich finden aber dennoch fest daran glauben, daß sie, die „Kleinen“, immer die Dummen sind. Die um so religiöser und apokalyptischer leuchten, je mehr die Sehnsucht nach einer besseren Welt in weite Ferne rückt. Doch nicht der große Knall, der Glaube an das Faß, das bald überläuft, sondern das Leisevorsichhinleiden ist ihr Stilmittel. Anders als die biersaufenden und bodybuildenden Anhänger Rammsteins lieben die mittelständischen Fans von Deine Lakaien noch immer Jasmintee, Moschusduftlampen und verspiegelte Sofatische und opfern ihren Göttern einmal die Woche eine Tafel Schokolade. Anstatt Lack und Leder zu tragen, verhüllen sie sich mit Tüll und Spitzen, Samt und Seide, Silberschnallen und schwarzweißer Schminke. Nicht Wut, sondern Trauer, Verlust und Einsamkeit steht auf ihren Gesichtern. Nach wie vor würden viele von sich behaupten, sie arbeiten gegen die gesellschaftliche Verdrängung der Nachtseiten des Lebens, von Alter und Tod, für die romantische Einheit von Bewußtsein und Unterbewußtsein. Sie empfinden sich als die andere Elite, als Adel, grenzen sich ab von den bunten, sorglosen, oberflächlichen und konsumorientierten, den braungebrannten Techno-Kids der 90er. So wird an diesem Abend der Konzertraum zur schutzspendenden Höhle angesichts einer bedrohlichen Außenwelt, einem öffentlichen Raum, in dem man sich ganz zu Hause fühlen kann.
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