: Der Kreml ist eine Riesenfirma
■ Die „Verwaltung für Angelegenheiten des Präsidenten“ ist mächtig und garantiert den Lebensstandard der Regierung
Moskau (taz) – Rußlands gestürzter Ex-Premier Jewgeni Primakow hatte das Glück, daß ihm sein Privathäuschen bei Moskau besser gefiel als die ihm zugeteilte Regierungsdatscha. Bei letzterer hätte er nämlich schon am vergangenen Freitag vor verschlossenen Türen stehen können. Manche Mitglieder früherer Regierungen schafften es nicht einmal mehr – nachdem der Präsident sie abserviert hatte –, ihre Badehosen aus den regierungseigenen Sommersitzen herauszuholen. Daß Primakow zum Datschenbesuch nur sein Privatwagen zur Verfügung gestanden hätte, versteht sich von selbst. Seinen Dienst-Mercedes dürfte er Stunden, nachdem er von seiner Entlassung erfuhr, zum letzten Mal gesehen haben.
Die Firma, die ihre Dienstleistungen so schnell gewährt und entzieht, ist gleichzeitig Behörde und kommerzielles Unternehmen. Sie heißt „Verwaltung für Angelegenheiten des Präsidenten“. Ob ein Minister einen Maßanzug braucht, ein Deputierter aus der Provinz eine Wohnung in Moskau oder ob in einem Flügel des Weißen Hauses an der Moskwa neue Gardinen her müssen, die „Verwaltung“ ist bereit, all dies zu beschaffen. Ihr unterstehen 110. 000 Festangestellte in 200 Firmen. Dazu zählen die Kreml-eigene Fluggesellschaft Rossija, aber auch 18 Bauunternehmen. 15 Landwirtschaftsbetriebe liefern den Bonzen ihr Brot und die ökologisch reine Butter darauf.
Die „Verwaltung“ ist die zweitgrößte Firma in Rußland nach dem Erdgasmonopolisten Gasprom – zumindest in Hinblick auf ihr Vermögen, dessen Wert auf 600 Milliarden Dollar geschätzt wird, und nach der Zahl ihrer Angestellten. Ihr Chef, Jelzins Haushofmeister, heißt Pawel Borodin. Mit einer Flut von Interviews hat dieser Mann in letzter Zeit die Flucht nach vorn ergriffen. Anlaß für die ungewohnte Offenheit: Der inzwischen von Jelzin vom Amt suspendierte Generalstaatsanwalt Juri Skuratow hatte mit Rückendekkung des damaligen Nochpremiers Primakow angedeutet, Personen aus der nächsten Umgebung des Präsidenten seien in einen Korruptionsskandal um die Schweizer Baufirma Mabetex verwickelt. Die Mabetex war 1994 führend beim Wiederaufbau des 1993 bei Unruhen zusammengeschossenen Weißen Hauses an der Moskwa. Danach erhielt sie die Aufträge zur Renovierung der Gebäude der Duma und des Föderationsrates sowie des historischen Senatsgebäudes im Kreml.
Ohne falsche Scham berichtete Jelzins Haushofmeister der Presse unter anderem vom letzten Besuch Bill Clintons im Kreml: „Der hat alles angefaßt und ungläubig gefragt: Ist das echtes Holz und echter Stein?“ Verächtlich äußert sich der Verwaltungs-Chef zum Spartrieb der US-Regierenden in deren Weißem Haus: „Bei denen ist alles aus Plastik – wie bei uns in einem Studentenheim.“
Borodin sei Dank – Marmor, Edelsteine und Hölzer entsprechen heute dem von Jelzin geforderten „Großmachtstil“, und dies nicht nur im Kreml, sondern auch in den diversen Ferienresidenzen des Präsidenten. Bevor er 1994 die Rekonstruktion des Senatsgebäudes in Angriff nahm, beäugte der Haushofmeister weltweit Paläste. Und mit der ganzen Bildung, die ihm seine Vergangenheit als Bürgermeister der Rentierzüchter-Metropole Jakutsk vermittelte, erklärt Borodin heute: „Der Buckingham-Palast, Versailles – nichts von alledem hat mir gefallen. Und wenn ich an den Vatikan denke, dann fallen mir nur die Worte ein: ärmlich, aber reinlich .
Unser „Zentrum zur Lenkung“ des Landes ist dem von Bill Clinton ein großes Stück überlegen“, prahlt Borodin weiter. Er bezieht sich damit auf einen mit modernsten Kommunikationssystemen und einem Riesendisplay ausgestatteten Saal. Die Bürger Rußlands können nur hoffen, daß wenigstens künftige Präsidenten über die notwendige Gesundheit verfügen werden, um dieses Zentrum auch aktiv zu nutzen.
Was die Firma Mabetex betrifft – so wiegelt der Haushofmeister ab –, sei sie nur eine von 100 russischen und 128 ausländischen Firmen, die er im Bereich Bau und Renovierung in den letzten Jahren per Zeitkontrakt beschäftigt habe. Im Kreml habe sie Arbeiten für 49 Millionen Dollar ausgeführt, während Aufträge für 120 Millionen Dollar an russische Firmen gingen. Borodin behauptet, seine Organisation arbeite rentabel. Sein Lieblingsbeispiel: Die Ausgaben für die Gesundheit der Nomenklatura lagen im vorigen Jahr dreimal über den dafür im Staatshaushalt bewilligten Mitteln. Die Differenz erwirtschafteten die Kreml-Krankenhäuser und –Sanatorien, indem sie nicht zum „Spezialkontingent“ gehörende zahlende Patienten aufnahmen. Während es also den Rentnern im Lande an den nötigsten Medikamenten fehlte, nutzte die „Verwaltung für Angelegenheiten des Präsidenten“ das Volkseigentum wirtschaftlich im Dienste der Bonzengesundheit.
Zweifel an der Redlichkeit seiner Aussagen braucht Borodin kaum zu fürchten. Nicht nur, daß er durch diverse Zuteilungen das Abstimmungsverhalten der Deputierten beeinflussen kann. Alles Notwendige, vom Bleistift bis zur Datscha, beziehen von ihm auch die Mitglieder des Obersten Rechnungshofes. Borodin gibt sich bescheiden: „Ich bin nur Ausführender. Je nachdem, wie es mir befohlen wird, setze ich einen Abgeordneten in einen Mercedes – oder auch auf ein Rentier“. Letzte Woche hat Borodin den noch nicht offiziell entlassenen Generalstaatsanwalt Skuratow von dessen Dienst-Mercedes in einen Wolga umgesetzt. Barbara Kerneck
Die Verwaltung ist die zweitgrößte Firma Rußlands mit 600 Milliarden Dollar Vermögen und 110.000 Angestellten
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