: Nervenarzt als Flugbegleiter
Hamburger Innenbehörde will Zahl der Abschiebungen erhöhen. Internes Papier schlägt radikale „Lösungsansätze“ vor ■ Von Judith Weber
Hamburgs Innenbehörde will mehr abschieben. In einem Papier, das der „Sozialpolitischen Opposition“ vorliegt, erläutert sie Ideen, um die Zahl der Ausreisenden zu erhöhen: Familien und Paare sollen öfter auseinandergerissen werden, ärztliche Atteste, Selbstmordgefährdung und kurzfristige Petitionen kein Ausweisungshindernis sein. Zudem plädiert die Behörde für mehr Abschiebehaft.
Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) schätzt, daß sich 10.000 AusländerInnen in Hamburg aufhalten, die sofort ins Flugzeug steigen müßten. Viele würden das flinker tun, wenn der Rest der Familie schon weg sei, so das Papier seiner Behörde: „Einzelfälle aus der Vergangenheit haben gezeigt, daß anläßlich der Abschiebung eines Teils der Familie in vielen Fällen die Bereitschaft zur Ausreise beim anderen Teil erheblich steigt.“
Auch ein kurzfristig vorgelegtes Attest, in dem Reiseunfähigkeit oder Selbstmordgefährdung bescheinigt werden, soll die Abschiebung nicht mehr verhindern; die Betroffenen könnten einfach in Begleitung eines Arztes ins Flugzeug gesetzt werden. Ohnehin bestehe der Verdacht, „daß es sich bei einem Großteil der Atteste um Gefälligkeitsbescheinigungen handelt“. Um das zu vermeiden, sollen künftig zwei bei der Ausländerbehörde angesiedelte MedizinerInnen die Gutachten schreiben.
Seine Behörde plane keine verschärfte Abschiebepraxis, beteuerte Senator Wrocklage gestern: „Das ist absurd. Abschiebungen in Hamburg stehen eindeutig im Einklang mit den Koalitionsvereinbarungen zwischen GAL und SPD.“
Die Grünen sehen das anders. „Einige Punkte des Papiers widersprechen eindeutig dem Regierungsvertrag“, erklärte Fraktionschefin Antje Möller. In einem Schreiben an Wrocklage hat sie gemeinsam mit Bürgermeisterin Krista Sager und Parteisprecher Peter Schaar klargemacht, daß „das keine Basis für ein Gespräch ist. Auch ein Durchziehen“ der Pläne „werden wir nicht dulden“.
In der SPD stoßen die Ideen ebenfalls auf wenig Gegenliebe. Rolf Polle, der für die Sozialdemokraten in Bürgerschaft und Petitionsausschuß sitzt, steht dem Entwurf „skeptisch“ gegenüber. „Einige Punkte lehnen wir rundweg ab. Insgesamt werden wir die Sache mit sehr spitzen Fingern anfassen.“ Das ist ganz im Sinne der Sozialpolitischen Opposition. „Das Thema muß zur Koalitionsfrage werden“, forderte Mitarbeiterin Pia Peddinghaus gestern.
Ein paar Fakten hat die Behörde schon geschaffen und mit der Ärztekammer über den „Problembereich Verhinderung der Abschiebung durch Vorlage ärztlicher Atteste“ gesprochen. Die Kammer empfahl daraufhin ihren MedizinerInnen, genauere und längere Texte zu schreiben, in denen sie beispielsweise die Suizidgefahr von Traumatisierten oder Folteropfern „schlüssig und nachvollziehbar begründen“ und Gründe darlegen, die einen Aufenthalt in Deutschland erforderlich machen. Ein Unding, findet Klaus Weber, in der Kammer Beauftragter für MigrantInnen. „Die Behörde versucht, die Ärzteschaft auszuschalten.“
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