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„... bleiben also nur die geheimen Strahlen“ –betr.: Die Angst strahlt noch bis heute“, taz vom 18. 5. 99

Jetzt hat Frau Haarhoff diese unselige Spiegel-Verschwörungstheorie mit der Stasi-Röntgenkanone in die taz kolportiert. Kanone stand in Gera, und die Bürgerrechtler saßen in Hohenschönhausen, lediglich von einem Handbuch für Strahlenkunde umzingelt, aber vielleicht war dies mit Plutonium imprägniert wie bei Umberto Ecco.

Die Krankheiten der Bürgerrechtler Fuchs und Bahro sind medizinisch definiert, sie können bei keinem noch sie ausgiebigen Fototermin selbst mit der alten Schußwaffe der Curies entstehen. Vergessen oder verdrängt wird allerdings die Tatsache, daß psychische und körperliche Folter bei den Opfern solcher Torturen auch immunologische Störungen hervorrufen kann, die bei Vorliegen von Mikrotumoren oder Krebszellen deren Wachstum induzieren, beschleunigen könnten. Solche (dringend notwendigen) gesicherten Verlaufskontrollen bei Folteropfern in aller Welt gibt es nach meiner Kenntnis aber noch nicht. Die Staatssicherheit der DDR war ein (fast perfekter) psychologischer Quälmeister, ich kenne keinen Bericht eines Cottbusser Mithäftlings ohne Zersetzungsmaßnahmen in Familie und Freundeskreis, körperliche Torturen waren seit Beginn der siebziger Jahre die Ausnahme.

Quälen ja, aber keine Spuren hinterlassen, bleiben also nur die geheimen Strahlen: klassischer Fall von wahnhafter Verarbeitung oder Randbetroffenheit. Die Tatsache, daß politischer Widerstand und Menschenrechte in der sogenannten demokratischen Leistungsgesellschaft unzureichend gewürdigt werden, darf nicht dazu führen, daß sich die heiligen George nachträglich immer größere, absurdere Drachen bauen. Die Unfaßbarkeit des kleinen alltäglichen Widerstandes in einer Diktatur wird entwertet und lächerlich gemacht durch solche unausgegorenen Gruselstories. Sowas gehört in die Bild-Zeitung, nicht in den Spiegel und schon gar nicht undistanziert in die taz. Dr. med. Volker Böricke, Holstein

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