■ H.G. Hollein: Linke Hände
Die Frau, mit der ich lebe, sieht sich zu vielem außer Stande. Meistens zu Dingen, die mit Arbeit verbunden sind. Beim Kaffeekochen etwa produziert die Gefährtin bei ihren seltenen Versuchen regelmäßig eine darmzersetzende Brutalität. „Das macht eben der Mann“, lautet dann der jeder emanzipatorischen Logik abholde Bescheid. Der Mann macht offenbar auch sonst viel. Zum Beispiel den Videorecorder programmieren, auch wenn er den nicht haben wollte und deshalb die Bedienungsanleitung nur höchst kursorisch wahrgenommen hat. Wen wundert es, daß daher gelegentlich Unvorhergesehenes auf dem Bildschirm erscheint? Die Gefährtin, und sie beläßt es meistens nicht beim Wundern. Dafür zeigt sie angesichts des Staubsaugers ein schreckhaftes Zurückweichen, das sie verhaltenstypisch in eine irritierende Nähe zu der Katze rückt, die mich duldet. Auch im Umgang mit der Waschmaschine hegt die Gefährtin eine tiefsitzende Technikfeindlichkeit, die sie durch einen größeren Wasserschaden durchaus überzeugend historisch zu begründen weiß. Warum die Gefährtin hingegen auf die Anschaffung eines Geschirrspülers pocht, erschließt sich mir nicht so recht. Auf diesem Arbeitsfeld habe ich schließlich ohnehin traditionell das alleinige Zugangsrecht. Der Sonntagmorgen ist für die Gefährtin eine besonders schwere Zeit. Ist sie doch zwischen dem Wunsch nach frischen Brötchen und schweren Lähmungsanfällen hin- und hergerissen. Die konfliktlösende Losung lautet, daß sie sich erst zurechtmachen müsse, bevor sie auf die Straße gehen kann. Mein schlafzerknautschtes Erscheinungsbild dagegen ist der Umwelt offenbar bedenkenlos zuzumuten. Und so stehe ich dann eben ungewaschen gähnend am Tankstellentresen in der Schlange. Daß unlängst eine wenig wache junge Frau vor mir stand und somit alternative Lebensentwürfe zumindest denkbar scheinen, wischte die Gefährtin allerdings mit dem Hinweis auf mangelnde statistische Relevanz souverän vom Frühstückstisch.
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