: Kokain und Gartenzwerge
■ Eine Ausstellung im Überseemuseum zeigt den Schamanismus Sibiriens und deutet zugleich den weltumspannenden Schamanismus als urmenschliches Phänomen
Ein dürres, armseliges, buchenblattgroßes Cocablättchen ist auch da, user-sicher durch Vitrinenglas abgeschirmt. Wahrscheinlich wird es auch noch durch Geheimvideo von einer Einheit der GSG 9 überwacht. Aber solche Kosten müssen in Kauf genommen werden, wenn sich eine Gesellschaft, die den Rausch entweder verteufelt oder degradiert zur Hebamme für gute Laune bei dreckigen Thekenwitzen, jener Gesellschaft auf der anderen Seite der Erdkugel nähert, für die heilige Besoffenheit eine Tür zur Geisterwelt zu öffnen vermag. Doch Rausch hin oder her: Die halb vom Völkerkundemuseum Wien geborgte, halb aus Tuva herbeigeschiffte Schamanismus-Ausstellung betont weniger die Differenz als die Analogie zwischen Schamanismus und allen anderen Kulturen.
Einer der zwei ausstellungsbegleitenden Kataloge sampelt Sätze von Dante, Deleuze, Diogenes, den Dire Straits – soviel allein zum Buchstaben D. Und alle, auch alle Nichtviehzüchter, thematisieren das Nomadisieren – mal von einer Welt in eine andere, mal ein wenig wiedergeburtsartig von einer Tier/Gott/Mensch-Existenz in die nächste. Und in den Vitrinen findet man originaldeutsche Gartenzwerge mit Fliegenpilzen – weil die ja schließlich auch ,irgendwas' mit Rausch zu tun haben. Und dann sind da auch Nintendo-Spiele – weil die ja auch eine virtuelle Reise in spannendere Stratosphären ermöglichen. Und erinnert nicht Moses' Stab an den Schamanenstab? Und überhaupt reichen Jungs Archetypen viel weiter in die heutige Gartenzwergkonsumkultur hinein als man gemeinhin denkt.
Übersee-Chefin Viola König findet es denn auch äußerst bemerkenswert, wie sich zentrale schamanistische Rituale – etwa das Herbeitrommeln von Trance mit einem Instrument, an dessen Rückseite eine Menschenfigur geschnitzt ist – quer über alle Kontinente wiederfinden lassen, und zwar in Kulturen mit völlig unterschiedlichem sozialen Gefüge. Ursprungsland ist aber wohl Zentralasien. Und auf einen kleinen Teil davon konzentriert sich die eine Hälfte der Ausstellung.
Tuva ist eine autonome Republik innerhalb Rußlands, exakt an der Grenze zum Staat der Mongolei. 307.000 Menschen verlieren sich auf einem Gebiet von der doppelten Größe Österreichs. Der ethnische Begriff konstituierte sich erst im 18. Jahrhundert. Das, was sich seitdem ,Tuviner' nennt, ist Resultat von skythischen (6.-8. Jh. v. Chr.), alttürkischen, mongolischen und kirgisischen (13. Jh.) Besiedlungen. Im Unterschied zum restigen Sibirien ist hier der Schamanismus weit mehr als eine alternative ärztliche Behandlungsmethode. Neoliberale Ökonomen hätten ihre Freude an der Multifunktionalität der SchamanInnen. Sie fungieren als WahrsagerInnen, SterndeuterInnen, ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen.
Im Unterschied zum Christentum scheinen Riten und Funktionen wenig standardisiert: vielleicht Folge der kommunikationshemmenden hohen Altaiberge und -täler, die 82 Prozent des Gebiets zerfurchen. So ist im Katalog die Rede von Schamanen, denen ihre „Tätigkeit keinen höheren sozialen Status oder materiellen Wohlstand einbrachte“. Aber auch von Schamanen, welche die allerhöchste Ehrfurcht ihrer Umgebung genießen. Und zwar bisweilen soweit, daß ihre Wohnstätten auch nach ihrem Ableben nicht betreten werden dürfen. Und ein Schamane betreibt gar mit seinem Zauber erfolgreiche Besitzstandssicherung: „Stiehlt jemand meine Schafe oder Kühe, werden schreckliche Dinge über ihn hereinbrechen.“
SchamanInnen erfüllen hauptsächlich Abwehrfunktion. Sie fungieren als eine Art Verteidigungsminister gegen feindliche, höhere Kräfte und besitzen Macht über Leib und Leben ihrer Mitmenschen. Ist jemand krank, so ist entweder eine seiner diversen Seelen verloren gegangen, oder er hat den Geist einer Quelle, eines Tieres oder eines Berges unbewußt beleidigt. Dann sind es die Schamanen, die durch Gespräche mit unsichtbaren Schamanenvorfahren oder Geistern die Ursache erkennen und den Schaden gutmachen.
Monghush B. Kenin-Lopsan, Schamanismuswissenschaftler und -gläubiger in Personalunion, meint aber, daß tuvinische Schamanen an Macht und Politik nicht interessiert wären. Die Vielfalt betont auch er. So unterscheidet er fünf verschiedene Typen Schamanen. Und ein Lokalmythos berichtet gar von einem, der Menschenfleisch gegessen haben soll. Außerdem sind Schamanen auch Ökopriester, die einen respektvollen Umgang mit der Natur lehren.
Im Überseemuseum sind nun zottelige Kleider, Stiefel, Trommeln, Stoffpuppen, welche die Schutzgeister verkörpern, Spezialbesteck für die tägliche Verköstigen der Sonne und anderer guten Geister, stumpfe Bronzespiegel, welche in Wahrheit natürlich die Wohnung von bestimmten Schutzgeistern sind, und vieles mehr zu sehen. Was da so archaisch in Vitrinen aufgebahrt ist, kommt seit 1991 wieder rege zum Einsatz. Nach diversen Verfolgungswellen durch den Kommunismus (besonders heftig 1917, 1920 und 1929) soll es jetzt wieder 145 ,diplomierte' Schamanen in Tuva geben. Aber auch im Westen wächst das Interesse nicht nur an der Schwitzhüttensauna, sondern am Schamanismus generell. Das Überseemuseum schwärmt schon jetzt vom reißenden Absatz seiner schönen Kataloge. Barbara Kern
Bis zum 19.9.. Am 20. u. 27.6. (10.30h) und 24.6. (17h) werden Führungen angeboten. Am 23.6. gibt es einen Vortrag über die Pflanzen der Schamanen (17h); am 30. 6. einen weiteren über die Geisterwelt der Lakota (20h). Über das weitere Begleitprogramm informiert unser Tageskalender sowie das Museum unter % 361 91 76
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