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Spätere Heirat ausgeschlossen

Ordnung muß sein: Ethnische und religiöse Kriterien bestimmen auf Zypern die Gesellschaft – bis hin zur Eheschließung. Besonders absurd ist die Geschichte des Niyazi Kizilyürek und seiner Lebensgefährtin Silvie Sylvaine – er ein türkischer Zypriot, sie eine Französin. Weil beide im griechischen Süden des Landes leben, ist ihr Weg zum Standesamt besonders weit. Eine Recherche aus dem Land mit der undurchlässigsten Demarkationslinie des europäischen Kontinents  ■ Von Klaus Hillenrand

Niyazi Kizilyürek hat ein Problem. Der junge Assistenzprofessor von der Universiät Zypern möchte gerne heiraten. Auch seine französische Freundin Silvie Sylvaine will in den Ehestand wechseln. Es herrscht keine materielle Not. Gemeinsam bewohnen sie die geräumige Etage eines Neubaus draußen vor der Hauptstadt Nikosia. Sie verdienen gut. Nein, auch die Familien sind einverstanden. Die Freunde würden sich freuen. Keine Krankheit, kein Siechtum, nichts, was einer Ehe im Wege stehen dürfte. Aber Silvie Sylvaine und Niyazi Kizilyürek können nicht heiraten. Niyazi ist türkischer Zypriot, lebt aber in der griechisch dominierten Republik Zypern. Da sind Eheschließungen nicht möglich.

Gleich hinter dem Haus von Silvie und Niyazi endet die schmale Seitenstraße. Ein Haus noch, und die weite Hügellandschaft der Mesaoria, der Kornkammer Zyperns, beginnt. Doch das Land liegt brach. Pflügende Bauern hat man hier zuletzt vor 25 Jahren gesehen. Statt dessen ist rostiger Stacheldraht gespannt, und man erkennt, weit entfernt, flatternde Fahnen auf kleinen Unterständen: Rote und weiße Flecken in einer sonnenverbrannten, geräumigen Gegend, die nicht zum Spazierengehen einlädt.

Wanderungen sind auch gar nicht möglich. Hier ist die „grüne Linie“. Dort, wo Silvie und Niyazi wohnen, endet seit 1974 die Republik Zypern. Die weißen Flecken sind die Flaggen von Unterständen der Nationalgarde, in denen Soldaten nach Norden linsen. Dort, wo die rote Fahne der Türkei weht, beginnt ein anderes Land mit, je nach politischer Einstellung, sehr unterschiedlichen Namen: Türkisch besetztes Gebiet, Nordzypern, Türkische Republik Nordzypern.

Auf Zypern herrscht perfekte ethnische Ordnung. Die griechischen Zyprioten leben, von ein paar hundert abgesehen, im wohlhabenden Süden. Die Zyperntürken wohnen im ärmeren Norden, seit 1974 von der türkischen Armee besetzt.

Daran, daß das nicht immer so war, erinnern ein paar Kilometer südlich von Silvies und Niyazis Wohnung die eingefallenen Lehmwände des Dorfes Ayios Sozomenos. Drei Kirchen und eine Moschee stehen in dem staubigen Weiler. Die gotischen Bögen der einen Kirche ragen in den blauen Himmel. Das Bauwerk ist nie fertiggestellt worden, denn damals, im 16. Jahrhundert, eroberten die Osmanen Zypern und vertrieben die katholischen Feudalherren. Doch die steinerne Bauweise trotzt besser als das Lehmgemisch der Wohngebäude dem Zahn der Zeit.

Die Wände der Häuser sind vom Regen heruntergewaschen, die Dächer haben sich in die Stuben ergossen. Die zweite Kirche verbirgt sich in einer Höhle und war zugleich einmal die Wohnung des Heiligen Sozomenos.

Im Halbdunkel flackern ewige Lichter, doch kaum ein Gläubiger findet den Weg in das tote Dorf. Die dritte Kirche hat noch ein Dach, eine Tür und einen kleinen Glockenturm. Es war einmal die Dorfkirche für 25 griechische Zyprioten. Die Moschee für die 172 Zyperntürken von Ayios Sozomenos ist so unscheinbar, daß man von ihr wissen muß, um sie zu identifizieren. Denn die Menschen waren so arm, daß es für ein Minarett nicht gereicht hat.

Am 6. Februar 1964 griffen zyperngriechische Paramilitärs die Zyperntürken von Ayios Sozomenos an, als Rache für den Mord an zwei Zyperngriechen im Nachbardorf. Sechs Menschen starben. Seitdem stehen Kirchen und Moschee leer. Damals, im Bürgerkrieg um die Teilung der Insel oder deren Anschluß an Griechenland, verließen viele Menschen ihre Dörfer und siedelten dort, wo die eigene Gruppe Schutz versprach: die erste Stufe der ethnischen Säuberung Zyperns.

Damals, 1964, hätten Silvie und Niyazi noch ohne Probleme in den Stand der Ehe treten können. Rüstem Tartar, der zuständige Beamte, hätte im türkischen Viertel von Nikosia seine Stempel auf die Heiratsurkunde gesetzt. Doch heute ist Tartar drei Kilometer und doch unendlich weit von der Wohnung von Silvie und Niyazi entfernt. Dazwischen liegen: ein Putsch, ein Krieg, ungezählte Tote, Vertriebene.

Zur Besichtigung der zweiten ethnischen Säuberung nebst dieser Linie ist das Kaffeerestaurant von Anita Georgiou im Bauerndorf Dherynia sehr gut geeignet. Außerdem ist es billig, der Eintritt in die Räumlichkeiten ist gering, Leihgebühren für ein Fernglas fallen nicht an. Anitas Laden befindet sich, ungewöhnlich genug für ein Kafenion, auf dem Dach eines Wohnblocks. Zu sehen gibt es eigentlich nichts Außergewöhnliches: Zwei, drei Kilometer entfernt lassen sich eine Menge Hochhäuser anvisieren, dahinter der Strand und das Meer. „Viele Nachbarn treffen sich hier“, erzählt Anita. Die Nachbarn, die längst keine mehr sind, sitzen in Plastikstühlen bei Anita, schlürfen Kaffee und lebten früher einmal in den Hochhäusern am Horizont. Das ist nun eine Generation her.

1974, im Sommer, eroberte die türkische Armee im Auftrag von Premierminister Bülent Ecevit nach einem Putsch der griechischen Obristen den Norden der Insel. Hinter den Hochhäusern von Varosha machten sie Halt. Zypern war geteilt. Zehntausende griechische Zyprioten mußten vor den Soldaten in den Süden fliehen. Auch Anita: „Ich habe in Varosha alles verloren.“ Ein Jahr später wurden türkische Zyprioten in Bussen vom Süden in den Norden verfrachtet. Die ethnische Säuberung Zyperns war perfekt.

Deshalb sind Menschen wie Niyazi Kizilyürek, der in den Norden gehört, aber im Süden lebt, nicht vorgesehen. Zwar sind sich die griechischen Zyprioten einig, daß die Insel wieder vereint werden muß, daß jeder Mensch das Recht hat, überall, wo er will, zu leben und zu arbeiten. Am Flughafen Larnaka und am einzigen Übergang in den Norden, dem „Checkpoint Ledra Palace“ in Nikosia, stehen große Blechschilder, auf denen ein blutroter Norden des Inselreliefs mahnt: „Ich vergesse nicht!“ Ein türkischer Zypriot im Süden stößt dennoch auf Probleme. Und eines davon ist das Heiraten.

Eheschließungen, so sieht es die immer noch gültige Verfassung von 1960 vor, sind eine Angelegenheit nach strikt ethnischen Kriterien. Zwar könnte ein Sudanese in Nikosia problemlos binnen weniger Tage eine Isländerin ehelichen. Schon zu britischen Kolonialzeiten waren Eheschließungen zwischen Ausländern ein gutes Geschäft und besonders bei arabisch-jüdischen Paaren beliebt. Heiratet aber ein griechischer Zypriot, so muß er zum Popen oder zum zyperngriechischen Standesamt gehen. Ein türkischer Zypriot geht zum zyperntürkischen Beamten. Doch den gibt es in der Republik Zypern nicht mehr.

Um auf Zypern zu heiraten, müßte Niyazi den zyperntürkischen Standesbeamten Rüstem Tartar besuchen, der zuletzt die richtigen Stempel verwahrte. Doch, der Mann lebt noch, ist allerdings auch schon weit über die achtzig. Tartar hält sich allerdings an die ethnische Ordnung und lebt im besetzten Norden. Ein Besuch des Nordens ist zwar neutralen Ausländern und Diplomaten über den „Checkpoint Ledra Palace“ möglich. Das gilt aber nicht für Zyprioten. An der schärfsten Demarkationslinie Europas gibt es keinen Reiseverkehr. Ausnahmen, wie der kranke fünfjährige Ali Osgan Tsavusoglou, der der besseren Behandlung wegen vom Norden in das südliche Makarioskrankenhaus von Nikosia eingeliefert wurde, sind eine Sensation.

Um zum Standesbeamten Tartar zu gelangen, wären einige absurde Umwege nötig. „Ich müßte zunächst nach Athen in Griechenland fliegen, dann weiter ins türkische Istanbul und schließlich nach Ercan“, berichtet Niyazi. Der Flughafen Ercan liegt ein paar Kilometer hinter seiner Wohnung in Nikosia auf Zypern – aber im Norden. Silvie Sylvaine könnte derweil relativ problemlos zu Fuß über den „Checkpoint Ledra Palace“ nach Nordnikosia gelangen, denn sie ist ja Französin. Drei Kilometer gegen dreitausend.

Aber wäre die dann geschlossene Ehe auch legal? Die Republik Zypern hat schließlich alle Institutionen des besetzten Nordens für illegal erklärt. Völkerrechtlich existiert die „Türkische Republik Nordzypern“ überhaupt nicht, kein Staat außer der Türkei hat sie je anerkannt. Ist der alte Stempel der Republik Zypern von Herrn Tartar auf einer Heiratsurkunde, auf der womöglich die Bezeichnung „Türkische Republik Nordzypern“ auftaucht, ein legales Dokument?

Das Problem liegt tiefer. „Es gibt in diesem Staat keine Staatsbürger“, sagt der Turkologe Kizilyürek, der mehrere Bücher zum Zypernkonflikt geschrieben hat: „Der Staat ist allein nach ethnischen Kriterien organisiert. Die Menschen gehören eher zu ihrer Nation als zu ihrem Staat.“ Nation heißt: Griechenland und die Türkei. Auch in den alten multiethnischen Zeiten, als griechische und türkische Zyprioten noch gemischt in Dörfern und Städten lebten, waren Heiraten zwischen Inselgriechen und –türken ausgeschlossen. Einer der Partner mußte erst die Religion wechseln, ehe eine Ehe möglich war. Alles andere hätte die Loyalitäten durcheinandergebracht.

Silvie und Niyazi könnten vor dem Europäischen Gerichtshof auf ihr Recht aufs Heiraten klagen. Sie würden wohl gewinnen – aber bis dahin hätte Niyazi wohl seine letzten schwarzen Haare verloren. Sie könnten warten, bis Zypern wieder vereint ist und Nordnikosia für beide zu Fuß zu erreichen ist. Doch bis dahin wäre wohl nicht nur der hochbetagte Standesbeamte Rüstem Tartar verstorben.

Sie werden nicht warten. In Paris sind Trauungen weniger kompliziert als im ethnisch ordentlichen Nikosia.

Klaus Hillenbrand, 41, Leiter des Chef-vom-Dienst-Pools der taz, hat voriges Jahr auf Zypern problemlos geheiratet – eine Deutsche, mit der er nun in Berlin lebt.

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