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Umkippen auf Highheels

■ Aufregend: Irina Pauls „On half of Front“ bringt am Oldenburger Staatstheater Geschlechtermuster zum Tanzen

Kleider machen Leute – diese These untersucht Irina Pauls noch etwas genauer. Mit ihrer neuen Inszenierung „One half of Front“ betritt die Oldenburger Ballettdirektorin mit ihrem Ensemble sozusagen die Metaebene zu dieser platten Volksweisheit und geht damit auch gleich der Sex- und Gender-Diskussion sehr lustvoll an die Wäsche.

Was macht ein Kleid mit dem Körper, welche Bewegungen provoziert es, welche Klischees erweckt es? Rot, eng, sexy ist natürlich ein Abendkleid. Es schnürt den Körper fest auf dünnen Highheels, so fest, daß die Lady unelegant umkippt. Und dieses Kippen hat Methode. Irina Pauls konfrontiert Stereotypen aus der Tanzgeschichte mit kulturgeschichtlichen Erscheinungsformen des Rockes, thematisiert Rollenklischees, in dem sie absurd kombiniert, somit überzeichnet und gebrochen werden.

Marco Antonio Queiroz gibt im Tüllröckchen als blasierte Eleve mit laszivem Stimmchen Unterricht in den Exerzitien des Balletts, die sich hier eher als sadomasochistische Übung erweisen: Der Spitzenschuh als erotischer Fetisch. Und Marcin Bacic schiebt sich aus der Hüfte heraus auf das Publikum zu, atemberaubend anmachend in einem Rockgeflecht aus schwarzen Büstenhaltern. Wissend, mit welchen Bildern sie hier spielen – der Tunte, dem Klischee des immerhomosexuellen Tänzers – brechen sie sie ironisch auf.

Drei Damen im Etuikleidchen mit Cabriokäppi und Hornbrille wippen und shaken im Revuestil der 50er – Schuld war nur der Bossa Nova. Torsi auf barocken Hüften schieben sich über den Boden, Menschen ohne Unterleib gleiten auf geraffter Krinoline, spielen einander rote Bälle zu. Mehr Bewegung und Begegnung läßt der steife Reif nicht zu. Zwei Frauen schließlich stehen merkwürdig verwrungen, eher einer Skulptur gleichend, die einem martialischen Science-Fiction entsprungen scheint, im Reifrock ohne Überkleid. Viel Leder und Schnallen halten das Gebilde am Körper. Köpfe und Füße haben sich in den Lamellen der jeweils anderen verfangen. In züchtiger Distanz schließlich schwingen die Reife glockengleich von der Bühne, die von überdimensionalen Schnittmustern unterteilt wird, einem transparenten Leporello gleich.

Die Beweglichkeit und Vielschichtigkeit des Bühnenbildes korrespondiert in der Dynamik der Tanzsequenzen sehr genau mit der Musik des Brasilianers Amon Tobin, dessen Samples Jazz, Rock und Filmsequenzen verweben und das Bühnengeschehen mal illustrieren, mal konterkarieren. So entstehen Schichten, die dem rein visuellen Geschehen weitere Räume öffnen: Irgendwo sind da auch Stimmen, irgendein Krimi spielt da. Und diese Ebenen sind notwendig, denn hier und da droht die Inszenierung in ihrer lockeren Revue-folge in genau die Löcher zu fallen, die durch das Fehlen eines Handlungsstranges bisweilen entstehen.

Irina Pauls aber versteht es sichtlich, mit den Persönlichkeiten des Ensembles ein Stück zu bauen, ihre kulturellen und körperlichen Eigenheiten sehr spielerisch zu nutzen. Der offenbare Spaß des Ensembles und der sprühende Witz sind der Nerv dieses aufregenden, pulsierenden Reigens.

Marijke Gerwin

Weitere Aufführungen: 3., 13., 18., 29. Juli jeweils um 20 Uhr im Kleinen Haus des Oldenburger Staatstheaters. Karten und Infos unter Tel.: 0441/222 51 11

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