: Der Präsident und seine ersten Volkskontakte
■ Beim Brandenburg-Tag kümmert Rau sich um Ziegen und Kinder, aber nur wenig um Politik
Jüterbog (taz) – Der Chor der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg würde gern ein weiteres Ständchen halten. Aber der Mann, der dazu den Einsatz geben müßte auf dem gut besuchten „Brandenburg-Tag“ in Jüterbog, hat am Samstag mittag kein Auge für seine Sänger. Gedankenverloren blickt Rolf Wischnath, dessen Visitenkarte ihn als kirchlichen Generalsuperintendenten ausweist, die Straße entlang, auf der der seit drei Tagen amtierende Bundespräsident Johannes Rau nach seinem ersten öffentlichen Auftritt im neuen Amt gerade in einem Pulk von Journalisten, Freiwilliger Feuerwehr und Würstchengrillern entschwindet.
Laut überlegt Wischnath, „Rau ist immer noch ein bißchen wie damals“, wie auf dem SPD-Sonderparteitag im September 1978. Da setzte der damalige nordrhein-westfälische SPD-Landesvorsitzende Rau im Kampf um die Nachfolge von Ministerpräsident Kühn sich überraschend und mit der knappen Mehrheit von elf Stimmen gegen Finanzminister Posser durch. Und stellte so die entscheidenden Weichen für seine politische Karriere – vom NRW-Ministerpräsidenten zum Kanzlerkandidaten zum heutigen Bundespräsidenten – „mit einer glänzenden Rede“, erinnert sich Wischnath, der seinerzeit, vor über zwanzig Jahren, SPD-Delegierter war, „einer Rede, die nicht länger als zehn Minuten dauerte“.
Was Rau denn damals inhaltlich so Bahnbrechendes gesagt habe? Wischnath guckt entrüstet. „Das weiß ich doch nicht mehr.“ Was zählte, war, wie Rau zu den Menschen redete, „wie er ihr Vertrauen und ihre Herzen gewann“, sagt Wischnath, und vielleicht ist das eine Erklärung dafür, wie sich das System Rau über so viele Jahre halten konnte.
Auch am Samstag auf dem schmucken Jüterboger Marktplatz redet der 68jährige Rau – trotz 30 Grad im Schatten tapfer im schwarzen Anzug und Krawatte schwitzend – kaum länger als zehn Minuten. Wieder kann sich anschließend kaum jemand erinnern, was er eigentlich gesagt hat. „Na ja“, überlegt eine halbe Stunde später ein Zuhörer am Bierstand, „er hat erzählt, daß er heute schon das fünfte Mal in Jüterbog ist, weil seine Mutter aus der nordrhein-westfälischen Partnergemeinde kam, und daß er Brandenburg sehr mag.“ Und, ruft eine Frau entzückt dazwischen, „er hat auch gesagt, daß die Politiker sagen sollen, was sie tun, und tun sollen, was sie sagen“. Das paßt immer, das kann man sich gut merken.
Wer allerdings hoffte, der neue Bundespräsident, der auf dieses heiß ersehnte Amt nach fünfjähriger Wartezeit 1999 erst im zweiten Anlauf gehievt worden war, werde bei seiner „ersten Amtshandlung“ die politische Linie im Anschluß an seine Rede über „die Würde aller Menschen, nicht nur der Deutschen“ unmittelbar nach seiner Wahl fortsetzen, hatte geirrt. Abgesehen von dem Appell, die Politiker müßten mehr „Glaubwürdigkeit“ beweisen und die Menschen trotz mancher „Nöte“ wie der Arbeitslosigkeit „zuversichtlich“ bleiben, waren Rau wenige Aussagen zu entlocken. In jedem Fall aber, fand er, sollten die Menschen in den neuen Bundesländern sich ihre „Freude über die Deutsche Einheit“ erhalten. Auch wenn sie bislang keineN BundespräsidentIn aus ihren Reihen stellen durften. Aber das sagte er nicht.
Lieber mischte der neue Bundespräsident sich zum Leidwesen seiner gestreßten Leibwächter unter die Menge, herzte einen Vierjährigen, „hier haben wir also den Alexander“, gewährte einem drängelnden Rentnerpaar ein Autogramm und streichelte – unter dem Blitzlichtgewitter der internationalen Presse und als sei er der Hauptakteur in einem Weihnachtskrippenspiel – einen Ziegenbock, das jahrhundertealte Wahrzeichen der Stadt Jüterbog.
Auch einen Tag später, Rau besucht in Weimar eine Gedenkveranstaltung des Bunds Deutscher Bibelkreise für einen zu DDR-Zeiten inhaftierten und 1969 verstorbenen Jugendpfarrer, hält sich der Bundespräsident mit politischen Wertungen zurück.
Seine Ehefrau Christina Rau, die mit 42 Jahren die bislang jüngste Bundespräsidentengattin ist, trägt seine Auftritte mit Fassung und meistens einen Schritt hinter ihm. Ob sie denn eigene Ambitionen während seiner Präsidentschaft hege? Sicher: „Ich werde ihm da politisch nicht ins Handwerk pfuschen.“ Heike Haarhoff
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