Richtig gute Stimmung beim Piloten

■ Armutsbekämpfung in Bergedorf-West als gutgemeinte Sozialforschung Von Heike Haarhoff

Wieder mal haben nicht die besseren Argumente, sondern pragmatische Gründe gesiegt: Nach mehr als sechsmonatigem Gezerre zwischen Projektentwicklern, Bezirk, Stadtentwicklungsbehörde und AnwohnerInnen ist der Standort-Streit für den geplanten Gewerbepark im „Armutsbekämpfungs-Pilotstadtteil“ Bergedorf-West jetzt offenbar entschieden: „Wie vom Bezirk stets befürwortet, wird Gewerbe auf der Zirkuswiese angesiedelt“, verkündete Bezirksamtsleiterin Christine Steinert gestern.

Die Alternativstandorte hätten der Prüfung nicht standgehalten. Selbst Oberbaudirektor Egbert Kossak, der sich als Mittler eingeschaltet hatte, sei in seinem Bemühen gescheitert, ein Grundstück der benachbarten Firma Jastram anzukaufen. Deswegen fällt die Zirkuswiese – beliebtes Freizeitgelände der BergedorferInnen – nun einer flächenfressenden, zweigeschossigen Gewerbe-Bebauung mit 7000 bis 8000 Quadratmetern Nutzungsfläche zum Opfer.

„Wir müssen wohnortnahe Arbeitsplätze für die sozial benachteiligten Menschen aus Bergedorf-West schaffen“, lautet das Credo des Bezirks und der Lawaetz-Stiftung, die als Projektentwicklerin das Armutsbekämpfungsprogramm des Senats in dem 1600-Seelen-„Problemstadtteil“ – Schätzungen zufolge ist jedeR zehnte arbeitslos – seit einem knappen Jahr umsetzen will. „Die Integration muß im Stadtteil stattfinden“, weist Projektentwickler Klaus Hagedorn Befürchtungen zurück, die Ghettoisierung des Viertels werde durch ausschließlich quartiersnahe Arbeitsplätze noch verstärkt: „Die Leute aus Bergedorf-West würden einen Standort im benachbarten Allermöhe-Ost nie als den ihren akzeptieren. Die Bahnlinie ist eine unüberwindbare Grenze für die Menschen aus den benachbarten Stadtteilen.“

Nachdem lediglich die Klärung der Standortfrage bereits ein Drittel der Gesamtlaufzeit des Armutsbekämpfungsprogramms verschlungen hat, sollen nun ein Nutzungs- und Finanzierungskonzept erarbeitet und danach interessierte Firmen und Betriebe angeworben werden. Der Senat glaubt allen Ernstes, nach nur drei Jahren bei einer jährlichen Kleckersumme von insgesamt zehn Millionen Mark die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in acht der ärmsten Hamburger Stadtteile lösen zu können.

Völlig unklar ist, um welche Firmen es sich handeln wird, wieviele Menschen aus den insgesamt 405 Saga-Wohnungen eine Aussicht auf Beschäftigung haben. Höchst fraglich auch, ob der Senats-Forderung, die Projekte sollten sich nach dreijähriger Förderung selbst tragen, überhaupt entsprochen werden kann. Bisher jedenfalls wurde der eigentlich zum Wohle der Bevölkerung zur Verfügung stehende Etat in Bergedorf-West wegen der Standortfrage kaum angetastet. Seit einem Jahr, so die angesichts der kurzen Projektdauer traurige Bilanz, hat sich für die Menschen im Stadtteil wenig Sichtbares verändert. Dafür aber wurde die Erkenntnis-Gier der empirischen Sozialforscher befriedigt: Mittels einer „nicht-repräsentativen Haustür-Befragung“ – 90 Gespräche wurden insgesamt geführt – ließ sich die Lawaetz-Stiftung bestätigen, was sie ohnehin schon ahnte: Etwa zehn Prozent der Befragten waren arbeitslos, 23 Prozent bezogen Sozialhilfe, ein Fünftel war bereits im Rentenalter, der AusländerInnen-Anteil war erwartungsgemäß hoch, Nachbarschaftsprobleme gab es viele und Armut auch. „Erstaunlich“ findet Klaus Hagedorn, daß Dreiviertel der BewohnerInnen angaben, mit ihrer Wohnung „zufrieden“ zu sein. Als ob Menschen, die sich und ihre Armut einem außenstehenden, neugierigen zoologischen Beobachter aussetzten, auch noch freiwillig ihre Würde in Frage stellten.

Immerhin stellten die unermüdlichen Sozialforscher fest, daß der „Wille zur Beteiligung“ vorhanden ist. Ein Mietertreff, der nicht auf Wunsch des Viertels entstand, sondern erst von den Projektentwicklern angeregt wurde, soll jetzt für bessere Nachbarschaft sorgen. Löbliche Intentionen drohen im Gutgemeinten zu versickern.