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Fallobst und muffiger Geruch

■ Der WM-Kampf von Dariusz Michalczewski wurde abgesagt. Geht für seinen Manager Klaus-Peter Kohl der Ärger jetzt erst richtig los? Von Rainer Schäfer

Die Sonnenstudio-Bräune, das Eau de toilette und die Goldkettchen halfen nicht mehr. Am vergangenen Montag waren die Herren des Hamburger Boxstalls Universum blaß und rochen muffig. Nach Enttäuschung und verlorenem Geld. Der Platz von Maurice Core auf der Pressekonferenz war leer geblieben. Gegen den Engländer hätte der Wahl-Hamburger Da-riusz Tiger Michalczewski den Weltmeistertitel der World Boxing Organisation (WBO) im Halbschwergewicht morgen in der Alsterdorfer Sporthalle verteidigen sollen. Der britische Herausforderer Core entging dem erwarteten Niederschlag, eine Grippe zwang ihn vorab in die Horizontale.

„Sie erleben mich zum ersten Mal sprachlos“, präsentierte sich Universum-Chef Klaus-Peter Kohl in ungewohnter Verfassung – die nicht lange vorhielt. Routiniert nutzte er die Gelegenheit, Wilfried Sauerland, Inhaber des größten nationalen Boxunternehmens mit Aushängeschild Henry Maske, ein paar verbale Tiefschläge mitzugeben. „Bei uns wird kein Fan betrogen. Wir veranstalten kein Kirmes-Boxen mit Fallobst. Wir wollen keinen Skandal wie in Stuttgart.“ Dort dilettierte bekanntlich in der „Nacht der Flaschen“ Axel Schulz gemeinsam mit dem Südafrikaner Frans Botha, und etliche „Fans“ im Endstadium der Degeneration rächten ihren darob gekränkten Nationalstolz mit einem Scherbengericht in Form von Sektflaschen-Weitwurf. Niveaulos, befand Kohl zu Recht. Da wolle er nicht mittun, notfalls die eigene Veranstaltung absagen. „Wir holen keine Pflaume, die in der zweiten Runde umfällt.“

Hehre Worte, zwei Tage später zauberte der 51jährige erneut einen „starken Mann“ aus dem Hut. Den Südafrikaner Gary Ballard, einen Verlegenheitsgegner, dem gerade fünf Tage zur Vorbereitung auf einen Fight zustanden, der immerhin den Weltmeistertitel verspricht. Aber was kümmert es Universum, daß Rhetorik und Realität mal wieder auseinanderklafften, schließlich ist der Kampf vom Pay-TV-Sender Premiere als die „Nacht der Knockouter“ angekündigt. Ergo muß einer vorzeitig auf die Bretter. Ob Core oder Ballard, egal.

Auf dem Universum-Firmenemblem drücken zwei Boxhandschuhe den Globus zusammen. Hegt Kohl Welteroberungsphantasien? Ende der 80er trat er an, um Boxen „wieder gesellschaftsfähig“ zu machen. Den Sport, der als miesestes nationales Gewerbe galt – untrennbar verbunden mit der Rotlichtszene. Die Zuhälter sitzen heute nur noch in der zweiten Reihe hinter den sogenannten VIPs. „Ernsthaften, guten Sport“ wollte Kohl der ruchlosen Aura, die der Hamburger Boxszene anhaftete, entgegensetzen. „Mich reizen Unternehmungen, von denen andere sagen, sie funktionieren nicht“, lautet sein Lebensmotto, mit dem er auch den sozialen Aufstieg schaffte. Als Pächter der Bahnhofsschänke in Farmsen stand er einst hinter dem Tresen, heute ist King Kohl millionenschwerer Herrscher über ein Gastro-Imperium mit über 50 Restaurants und Imbißbuden.

In diesem Jahr sollte auch Universum mit Dariusz Michalczewski den Sprung nach ganz oben schaffen, dorthin, wo man rhetorisch schon angelangt war. Der Tiger sollte Henry Maske, den Weltmeister im angesehenen Verband IBF, schlagen und beerben. Doch Widersacher Sauerland – vertraglich an RTL gebunden – spielte nicht mit, ließ Maske lieber vor über 17 Millionen Zuschauern gegen Graciano Rocchigiani kämpfen. Quoten, die den „Box-Boom“ belegen sollen. Nun reden alle von Rocky, Maske und Schulz. Aber wenige vom Tiger. Der schmetterte pflichtschuldig seine Gegner in Serie zu Boden: Alle 29 Kämpfe gewonnen, davon 25 per Knockout. Leider sah fast niemand zu, wenn Dariusz auf Premiere kämpfte. Was beim Schlagkräftigen einen ersten Anflug von Renitenz auslöste. „Die können mich nicht richtig vermarkten.“

Am Mittwoch abend ließ Michalczewski die mit 7 000 Karten ausverkaufte Veranstaltung platzen. Daß ausgerechnet der Tiger, das beste und willigste Pferd in Kohls Stall, der hauseigenen Dampfplauderei nicht mehr traute, hat bei Universum Bestürzung ausgelöst. Schließlich hatte Kohl den Nobody vor vier Jahren wie einen eigenen Sohn aufgenommen. Aber während Kohl nur Geschäftsmann ist, ist der Tiger auch noch Sportler. Stets hatte die Konkurrenz ihm vorgehalten, „Pflaumen“ zu boxen. Stets hatte Impresario Kohl sein Ziehkind vertröstet: Großes habe man noch mit ihm vor. Aber dem chancenlosen Ballard mit der gefürchteten Linken so lange an den Kopf zu schlagen, bis der kaputtgeht, das war selbst dem Tiger zu viel Rufschädigung. Zur Zeit mag Michalczewski Kohl nicht riechen – nicht nur wegen dessen Eau de toilette.

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