: Begehrter Strom aus Laos
ENTWICKLUNG AUF KOSTEN DER TRADITION LANDWIRTSCHAFT wird zunehmend unrentabel in Laos, wo auch der Vietnamkrieg noch Folgen zeitigt. Neben einträglicher Holzwirtschaft setzt die Regierung zunehmend auf den Bau von Staudämmen, um Strom zu erzeugen, der an die Nachbarländer verkauft werden soll. Doch Umsiedelungen ganzer Dörfer und gigantische Kosten für Bau und Betrieb der Dämme lassen die Kritik auch hier lauter werden. ■ Von PHILIPPE PATAUD-CELERIEZ * * Journalist
Von leichtem Knistern begleitet, schallt eine Lautsprecherstimme über die einzige Straße von Muang Sing, einem Marktflecken im Norden von Laos (Provinz Luong Nam Tha), nahe der chinesischen Grenze. Dann bricht das Rauschen aus dem Lautsprecher ab. Es ist halb sieben Uhr morgens. Eine monotone Musik, die an eine minimalistische Komposition erinnert, leitet über zu den offiziellen Verlautbarungen der Revolutionären Laotischen Volkspartei (LPRP). Seit 1975 hat die LPRP ihre Alleinherrschaft über dieses kleine Binnenland etabliert, das von China, Burma, Vietnam und Kambodscha umschlossen ist und weder einen Hafen noch eine Eisenbahnlinie hat. In belehrendem Ton betet die Stimme ihre propagandistischen Botschaften herunter: öffentliche Ankündigungen und praktische Informationen zum Preis der Grundnahrungsmittel. Tagtäglich hebt mit der Morgendämmerung die Aufklärungskampagne der Regierung an. Sie richtet sich an die rund 4,6 Millionen Laoten, von denen 80 Prozent auf dem flachen Lande leben. Diese ländliche Bevölkerung ist zwar arm, aber durchaus nicht notleidend, da die Bauern Agrargüter und handwerkliche Erzeugnisse produzieren.1 Und auch die Bauern, die hier in Muang Sing dem Markt zustreben, drückt momentan lediglich die Last der Waren, die sie auf dem Rücken schleppen. Und die Frage, wie viele Geldscheine von 100 oder 500 Kip sie für ihre Produkte einstreichen werden.2Für 2,5 Millionen Menschen, die sich auf insgesamt 47 ethnische Minderheiten verteilen, wirft die Landwirtschaft immer geringere Erträge ab. Seit dem Ende des Vietnamkriegs sind für viele dieser Volksgruppen die natürlichen Ressourcen knapp geworden, wozu mehrere Faktoren beigetragen haben: Zum einen wurden Fauna und Flora vor allem im Süden des Landes durch Napalmbomben vernichtet: Im Zeitraum 1964 bis 1973 warfen 580 344 US-amerikanische Bomber ihre Last über Laos ab, das Land wurde also durchschnittlich alle acht Minuten bombardiert. Zum anderen ist im Norden die Neugewinnung von Anbauflächen durch Brandrodung erheblich zurückgegangen. Während die Ethnien des Nordens seit dem Ende des Krieges einen starken Bevölkerungszuwachs erleben, bemüht sich das Regime zunehmend, die lukrativen Waldbestände des Landes auszubeuten. 1995 belief sich der Holzexport auf 83,4 Millionen US-Dollar. Das entspricht einem Viertel des Gesamtexportvolumens, wobei dieses Geld unter anderem für den Sold der Militärs ausgegeben wird. Auf der anderen Seite roden die Bauern, um überhaupt überleben zu können, jedes Jahr 35 000 Hektar Wald.3Angesichts der etwa 300 000 Familien, die Anbauflächen durch Brandrodung zu gewinnen versuchen, bemüht sich die Regierung verstärkt, die nomadischen Minderheiten längs der großen Verkehrsachsen – der Flüsse oder Straßen – sesshaft zu machen. Mehrere hunderttausend Bergbewohner haben sich inzwischen in den Ebenen angesiedelt, doch die Anpassung an die neue Umgebung fällt ihnen nicht leicht. Malaria und Ruhr machen ihnen zu schaffen, sie leiden an Unterernährung, die neuen landwirtschaftlichen Produktionsweisen – zum Beispiel den Übergang zum Reisanbau – müssen sie erst mühsam lernen. Sie erzielen daher noch keine Überschüsse, die ihnen reale Kaufkraft verschaffen würden.
In Muang Singnur ist die soziale Struktur zu besichtigen, die für die meisten Märkte typisch ist: Eine unerbittliche, durch die ökonomischen Austauschgesetze erzeugte Zentrifugalkraft drängt die einkommensschwächsten Produzenten und die ärmsten Konsumenten an den Rand. Das betrifft vor allem die Angehörigen der ethnischen Minderheiten, die schon um drei Uhr nachts aus ihren Bergdörfern aufbrechen und in die Ebene hinabsteigen, wo sie den Lao-lum (Flachland-Laoten) oder den sinolaotischen und laothailändischen Händlern etwas Gemüse oder Feuerholz verkaufen. Letztere benehmen sich dabei oft ziemlich arrogant, da sie sehr viel mehr und bessere Waren besitzen und da sie es sich mit ihrer Kaufkraft leisten können, chinesische oder thailändische Produkte wie Fernseher, Mofas, Töpfe u.Ä. zu importieren.
MANCHE Bergvölker – etwa die Hmong, die Akha oder die Lisu usw. – nehmen zum Opiumanbau Zuflucht, um der Misere zu entfliehen. Dieser Produktionszweig existiert auch noch in der Umgebung von Muang Sing, das früher der größte Umschlagplatz für Opium im Goldenen Dreieck war. Sieht man sich in der Umgebung des Marktes um, trifft man unweigerlich auf eine jener schattenhaften Gestalten, die opiumhaltige Kapseln zum Kauf anbieten. Dieses Geschäft hat in den letzten Jahren zugenommen und weitet sich noch weiter aus, da immer mehr Drogen konsumierende Touristen die Region besuchen.
Dieser allgegenwärtige Schwarzhandel geht auch auf politische Motive zurück. Hier sollen nicht nur bestimmte Minderheiten sesshaft gemacht werden, sondern auch jene Hmong-Gemeinschaften, die sich in den sechziger und siebziger Jahren auf Seiten der Amerikaner am Kampf gegen das kommunistische Regime beteiligt hatten und damals von der CIA hochgerüstet wurden. Heute verüben sie an der Nationalstraße 13 immer noch blutige Überfälle, obwohl in der Umgebung von Kasi – zwischen Vientiane und Luang Prabang – zahlreiche Maschinengewehr-Nester die Straße abdecken. Die gewaltsamen Aktionen dieser bewaffneten Gruppen reflektieren nach Ansicht von Beobachtern eher „die Frustration von Minoritäten, die von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes nahezu ausgeschlossen bleiben“, und weniger einen tatsächlichen politischen Willen zur Unabhängigkeit.
Tatsächlich durchläuft Laos einen enormen Entwicklungsprozess.4 Zu den umfangreichen, noch kaum erschlossenen Ressourcen (Salz, Gips, Gold, Eisen, Kohle, Braunkohle, Zink ...), die das Land besitzt, gehört vor allem auch das hydroelektrische Potential der etwa zwanzig Nebenflüsse des Mekong. Dieses Energiereservoir weckt heftige Begehrlichkeiten bei den Nachbarländern, deren Bevölkerungszahlen die von Laos um das 12fache (im Fall von Thailand), das 16fache (Vietnam) oder gar um das 260fache (China) übersteigen.
Der Mekong entspringt im östlichen Tibet und bewässert dank seiner gigantischen (wenn auch steigenden und sinkenden) Wassermassen, auf 1 865 Kilometer Länge die laotischen Flussufer mit ihren Gärten und Reisfeldern. Aber auch aufgrund seiner reichen Fischbestände ist dieses „Meer von Laos“, wie der Mekong auch genannt wird, lebenswichtig für die Bevölkerung von Laos. Und für das Regime, das sich der übermäßigen wirtschaftlichen Abhängigkeit des Landes, insbesondere von Thailand, sehr wohl bewusst ist. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist es mehr denn je auf internationale Hilfe angewiesen – die ein Drittel seiner Haushaltseinnahmen ausmacht – und benötigt daher dringend Devisen aus dem Ausland.
Die Lösung scheint auf der Hand zu liegen: Man braucht nur immer mehr Staudämme zu bauen, um dieses Energiepotential auszubeuten. Das beläuft sich nach Schätzungen der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) auf etwa 18 000 Megawatt und wird derzeit nur zu 1 Prozent genutzt. Mit Energieexporten ließen sich theoretisch jährlich über 20 Milliarden US-Dollar einnehmen. Die Nachfrage ist enorm. Ausländische Energieunternehmen und Staaten drängen auf den Markt, allen voran Thailand, dessen hydroelektrisches Potential für seine 60 Millionen Verbraucher bei weitem nicht ausreicht. Zudem machen thailändische Naturschützer sehr viel stärker Front gegen Umweltbelastungen.
Vier Staudämme befinden sich bereits im Bau (Theun Hinbun und Huay Ho werden dieses Jahr fertiggestellt), sechs weitere sind in Planung.5 Ein dutzend Projekte sollen noch folgen. Eine gewaltige Entwicklung, die für das ökologische und landwirtschaftliche Gleichgewicht des Landes auf Dauer nicht ohne Risiken bleiben dürfte, denn immerhin stammen 56 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus dem Agrarsektor. Hinzu kommt, dass die natürlichen Hochwasserphasen die mangelnden Niederschläge kompensieren, die für den größten Teil des Mekong-Beckens zu verzeichnen sind (sie liegen unterhalb der für den Reisanbau benötigten 1 500 Millimeter). Es gibt aber auch Stimmen, die die Vorteile von Staudämmen hervorheben: Sie könnten die unregelmäßigen Wasserstände ausgleichen und deren häufig katastrophale Folgen mildern.
Gegenwärtig richten sich alle Blicke auf Nam Theun 2. Dieser mit einer Kapazität von 681 Megawatt leistungsfähigste Staudamm entsteht gerade etwa 250 Kilometer südöstlich von Vientiane am gleichnamigen größten Zufluss des Mekong. An seinem Bau beteiligt sind fünf internationale Gesellschaften6, die mit der laotischen Regierung zusammenarbeiten und sich zum Elektrizitätskonsortium Nam Theun 2 (NTEC) zusammengeschlossen haben. Nach Angaben des NTEC soll der Damm die thailändische Elektrizitätsgesellschaft – Electricity Generating Authority of Thailand (EGAT) – mit Energie im Wert von jährlich 250 Millionen US-Dollar beliefern.
Ein Stausee wird 447 Quadratkilometer Wald unter Wasser setzen, was eine Umsiedelung von etwa viertausend Menschen erforderlich macht. Die Fläche liegt auf dem Hochplateau von Nakai, das zahlreiche Experten als ein Naturreservat ersten Ranges mit einer einzigartigen Pflanzenvielfalt und seltenen Tierarten betrachten. Bereits vor einigen Jahren wurde das Tal abgeholzt, angeblich um den Umweltschützern und Gegnern des Projekts den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Diese Fakten sind freilich umstritten7 und lösten eine heftige öffentliche Debatte aus. Eine noch wichtigere Rolle spielt dabei das Missverhältnis zwischen der erforderlichen Investitionssumme von 1,5 Milliarden US-Dollar und den schwachen finanziellen Ressourcen des Staates, dessen Bruttoinlandsprodukt unter 2 Milliarden US-Dollar liegt.
„Die Kosten des Staudamms und die Risiken seiner betrieblichen Nutzung gehen ja größtenteils [zu etwa 70 Prozent] zu unseren Lasten“, verteidigt sich das Konsortium. Die Investitionen sollen sich dadurch amortisieren, dass 25 Jahre lang der aus der Nutzung des Staudamms entstehende Gewinn abgeschöpft wird.
Anschließend wird der Staudamm in den Besitz des Staats übergehen, dem dann das alleinige Nutzungsrecht zusteht – sofern bis dahin noch nicht eingetreten ist, was manche Hydrologen befürchten, dass nämlich „der Nam Theun mit seinen starken Ablagerungen die profitable Aktivität des Staudamms zunichte gemacht hat“. Diese Unwägbarkeiten wie auch der Druck der Umweltschützer hatten die Weltbank und die laotische Regierung veranlasst, drei neue Gutachten in Auftrag zu geben, die schließlich zu einem positiven Ergebnis kamen.8 Nam Theun 2 allein dürfte das Bruttoinlandsprodukt des Landes um etwa 15 Prozent steigern. Zwischen 1988 und August 1997 flossen 66 Prozent aller in Laos getätigten Auslandsinvestitionen in den Sektor Hydroelektrizität.9Seitdem Laos 1986 den Weg für die Marktwirtschaft freigemacht hat, kann sich auch die alte Garde, die nach wie vor die politischen Zügel in der Hand hält10, immer weniger der ökonomischen Aufbruchstimmung entziehen, die in ganz Südostasien um sich greift und auch Vietnam und China erfasst hat, zwei große kommunistische Bruderstaaten, die sich ebenfalls mitten im Umbruch befinden. Nach dem Vorbild Vietnams gehört inzwischen auch Laos dem Verband Südostasiatischer Staaten (Asean) an – einer prowestlichen Organisation, die einmal als Front gegen das „rote Indochina“ gegründet wurde. Noch erstaunlicher aber ist wohl der Anteil der USA an den Auslandsinvestitionen, der inzwischen schon 30 Prozent des Gesamtvolumens ausmacht.11 Investitionen in ein Land, dessen Bergbewohner und Bauern bei der Feldarbeit noch heute unter einer Hinterlassenschaft des Krieges leiden: den „Bombies“, den fürchterlichen Splitterbomben.
dt. Matthias Wolf
Allgegenwärtiger Schwarzhandel
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