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Statt bei Micky und Goofy im Halbfinale der WM

■ Bei der Schach-Weltmeisterschaft in Las Vegas schlägt der krasse Außenseiter Liviu-Dieter Nisipeanu nach Wassili Iwantschuk auch den Topfavoriten Alexej Schirow

Berlin (taz) – Vor zwei Jahren spielte Liviu-Dieter Nisipeanu während der Schach-Weltmeisterschaft in Groningen (Niederlande) noch im parallel stattfindenden Open, ohne sonderlich herauszuragen. Auch in den ersten drei Runden bei der zweiten K.o.-WM in Las Vegas interessierten sich die wenigen Zuschauer im vierten Stock des Caesars Palace kaum für den deutschstämmigen Rumänen. Mit 2.584 Elo-Punkten findet sich der 23-Jährige schließlich nicht einmal unter den Top 100 der Weltrangliste. Die Buchmacher boten entsprechend den hundertfachen Einsatz, sollte Nisipeanu den Schachthron des Weltverbandes Fide besteigen.

Seitdem ist die Quote drastisch gesunken. Auf 7:1 am Wochenende. Der unscheinbare Großmeister hat nämlich gleich zwei Favoriten eliminiert. Erst im Achtelfinale Wassili Iwantschuk. Die zwei Unentschieden Nisipeanus in den Turnierpartien nötigten ersten Respekt ab, hatte doch sein 30-jähriger Widerpart zuvor alle Spiele gewonnen. Aber wie sollte der Außenseiter den Ukrainer in den Schnellschach-Begegnungen mit 25 Minuten Bedenkzeit (plus 10 Sekunden für jeden ausgeführten Zug) bezwingen? Die Antwort lautete einmal mehr: durch Iwantschuk selbst. Iwantschuk opferte einen Läufer im treuen Glauben, dass er dafür einen Turm und einen Bauern erhielte. Den anfängerhaften Patzer parierte Nisipeanu jedoch mit leichter Hand. Umgehend gab Iwantschuk auf und rannte nach den peinlichen 14 Zügen mit Tränen in den Augen aus dem Turniersaal.

Mannhafter verhielt sich zwar Alexej Schirow, doch auch der auf eine Quote von 2:1 heruntergewettete Favorit scheiterte im Viertelfinale mit 0,5:1,5 an Nisipeanu. Vorher hatte noch der Weltranglistenerste Kasparow im Internet gehöhnt, unter den letzten acht befänden sich drei „WM-Touristen, die sich besser in Disneyland vergnügen sollten“. Damit meinte der Weltmeister von eigenen Gnaden Sergej Mowsesjan (Tschechien), Wladimir Akopian (Armenien), der sich in diesem Zweikampf mit 2,5:1,5 durchsetzte – und Liviu-Dieter Nisipeanu.

Anstatt Mickymaus und Goofy zu frönen, begab sich die Nummer drei des Bundesligisten USC Magdeburg in der zweiten Partie gegen den Wahl-Spanier Schirow auf den Pfad, Dagobert Duck nachzueifern. Mit der Halbfinal-Teilnahme, die die Fide mit 138.240 Dollar honoriert, hat Nisipeanu schon mehr Geld eingeheimst, als der 23-Jährige vorher in seiner gesamten Karriere kassierte. Gegen den zweiten Favoritenschreck, Alexander Chalifman, ist er erneut nur Außenseiter. Der St. Petersburger zerstörte mit einem 1,5:0,5 die Träume der Ungarin Judit Polgar, als erste Frau Weltmeister bei den Männern zu werden.

Weil der seit 53 Turnierpartien ungeschlagene Wladimir Kramnik erneut zwei Remis produzierte, musste Michael Adams in den Tie-Break. Nach weiteren zwei Unentschieden setzte sich der Engländer im zweiten Schnellschach-Durchgang mit 2:0 gegen den topgesetzten Weltranglisten-Dritten durch. Obwohl bis auf den Weltranglisten-Siebten alle Favoriten stolperten, gilt Adams nun vor dem Match gegen Akopjan als erster Titelanwärter. Hartmut Metz

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