: Gläserne Spannung
La La La Human Steps aus Montreal und das Cloud Gate Theatre aus Taiwan eröffnen den Tanz im August ■ Von Katrin Bettina Müller
Während einer Residence in Tokio hat der kanadische Choreograf Edouard Lock sein Hochgeschwindigkeitstück „Salt“ entwickelt; in München begann der taiwanesische Choreograph Lin Hwai-min die Arbeit an dem paradiesischen Bewegungsfluss von „Moon Water“. Nicht zufällig spielen beide Stücke, die bei „Tanz im August“ in der Deutschen und der Komischen Oper gastieren, in den Titeln auf ein Element des Lebens an. Die Bühne ist für beide ein Black Cube, in dem die Welt erst mit der Bewegung erschaffen wird. Beide zeichnen ihre Bilder in Schwarz und Weiß und gläserner Klarheit. Es geht um Tanz pur: Der Formenkanon von Solo, Pas de deux und Ensemble wird von allen dramatischen Funktionen befreit. Lock und Hwai-min suchen in Musik und Bewegungssprachen Linien auszulegen, die in Vergangenheit und Zukunft zu mehr als einer Zeit und einem Ort führen.
Dennoch lässt sich kaum Gegensätzlicheres denken, als Hwai-mins Landschaft aus Wolken und Wasser, durch die die Tänzer treiben, und Locks „Salt“, das den Raum wie mit den feinen Stichen einer Tätowiernadel überzieht.
„Salt“ ist atemberaubend. Die Augen müssen sich anstrengen, dem Stakkato der Spitzenschuhe zu folgen, dem fahrigen Wischen der Arme und dem Schleudern der Haare. Das Hecheln der Tänzer dringt über die Musik. Die Intensität körperlicher Höchstleistung wird über 90 Minuten hochgetrieben zu anhaltender Spannung.
Dennoch geht es in den vielen Pas de deux nicht um Erotik. Männer und Frauen arbeiten zusammen, mit einer Präzision und Zuverlässigkeit, als gälte es, Bomben zu entschärfen oder ein Schiff im Weltraum wieder manövrierfähig zu bekommen. Die Männer, die sich selbst viel zu selten in Spiralen in die Luft katapultieren dürfen, sind zu kleinen Hilfsdiensten in diesen konstruktiven Gespannen verdonnert. Unenwegt halten, drehen, schieben, werfen und fangen sie die Frauenkörper und sorgen so für den Antrieb der Tanzmaschine. Aus choreografischen Floskeln wird eine neue Stenografie, die wie ein Computercode auf dem Rechner vor den Augen vorbeiflimmert.
Das bliebe eine kalte Anspannung, wäre „Salt“ nicht zugleich ein Konzert des New Yorker Komponisten David Lang, der mit Klavier, Cello, E-Gitarre und akustischen Räumen einen zunehmend emotionalen Sog aufbaut. Wie der Choreograf arbeitet auch Lang mit Reduktion, Wiederholung und in greifbare Splitter zerfallende Strukturen. Doch weil die Spannungsbögen von Musik und Tanz asynchron gesetzt sind, verlieren sie nie ihre Unabhängkeit. Dieses Nebeneinander erst erzeugt eine Offenheit, als ob sich in diese scharf umrissenen Räume andere Erfahrungen ergießen könnten.
Leider ist nicht Edouard Lock sondern Lin Hwai-min als einer der künftigen Choreografen des BerlinBalletts engagiert. Dessen „Moon Water“ war von einer leidenschaftslosen Schönheit, in der die Cello-Suiten von Bach mehr Gegenwärtigkeit ausstrahlten als der Tanz. Eine kaum erträgliche Reinheit, jenseits von Gut und Böse, ging von diesen Tänzern aus, die bloß noch Gefäße für Erinnerungen an das Leben schienen.
Lin Hwai-min hat seine Choreografie auf der Basis des T'ai Chi entwickelt, ein Trainings- und Entspannungsprogramm, das die Energie aus dem Rumpf durch alle Glieder fließen lässt. In kaum einem Fernsehfeature über China oder Japan fehlen die Bilder von Arbeitern, Schülern und Angestellten, die in Pausen im Park mit T'ai Chi ihre Konzentration zurückholen und Konflikte von sich abzustreifen suchen. Da ist immer die verdichtete Großstadt, das Brausen der Verkehrsadern, Industriekulissen und Hochhäuser gegenwärtig, gegen die der innere Raum geschaffen werden muss. In „Moon Water“ fehlt dieses Bedrängtwerden von der Außenwelt, das den Kampf um Festhalten und Loslassen erst zu einem lebensnotwendigen macht. Das Stück ist so sorgfältig gebaut und demutsvoll ausgeführt, dass man sich am Ende über jeden unkontrollierten Spritzer freut, den die Schritte der Tänzer auf der langsam mit Wasser gefluteten Bühne hochjagen.
La La La Human Steps: „Salt“, Komische Oper, 18. August, 20 Uhr
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