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Ein Abend mit P.    ■ Von Helmut Höge

In einem Senatsgutachten über die neue Situation der Kunst in Berlin kamen die Autoren zu der optimistischen Einschätzung: Es sieht beschissen aus, alle alten Kunstströme sind erledigt, aber es wird sich was Neues in der Stadt herausmendeln. Die Experten kamen der Wahrheit ziemlich nahe. Obwohl die meisten Künstler erst mal damit beschäftigt sind, das multimediale Hightech für sich zu entdecken und zu nutzen.

Der am Savignylatz wohnende P. hat dagegen noch nicht einmal zur elektrischen Schreibmaschine gefunden. Dennoch riskierte er neulich abends eine dicke Lippe: „Das sind doch alles Holzwege,“ sagte er. „Die neue Kunst wird aus der Genforschung hervorgehen: Sie ist die Kunst, kulturelle Informationen nicht mehr im Unbelebten wie Stein, Papier oder in Schaltkreisen, sondern im Leben zu erzeugen, zu erhalten, und daher relativ ,ewig‘ zu machen. Eine belebte, lebendige Kultur herzustellen. Die Biotechnik ist die Kunst, Lebendes künstlich zu machen und Künstliches lebend. Aufregend. Sie ist die erste wahre Lebenskunst!“

„Hmmm,“ meinte ich, „viel aufregender ist doch die, die sich in der Stadt als ,Künstler-Unternehmer‘ hervorwagt. Diese Leute machen ebenfalls Lebendes künstlich und Künstliches lebend.“ „Was sind das für Figuren?“ „Vielleicht fing es mit Andy Warhols Idee ,Good Business is the Finest Art‘ an. Der Immobilien-Tycoon Donald Trump machte daraus seine Memoiren: 'The Art of the Deal‘. Irgendwo dazwischen wird nun der alte Künstler und sein ewig nach Ölfarben riechendes Atelier aufgelöst, aber auch die den Fortschritt vorantreibende Unternehmerpersönlichkeit.“

P. war sofort begeistert: „Du meinst, alles kann zu Camp werden, es muß nur echt genug sein, auch Geschäfte?“ „Vor allem Geschäfte, nicht zufällig hantieren die Manager während ihrer ,Performances‘ mit dem postmodernen Projektbegriff. Oder schau dir die Technikentwicklungen an: sprechende Staubsauger, Mikrowellenherde, die Kochbücher einscannen und Müllschlucker, die lautstark Getrenntmüllsortierung verlangen. In 100 Jahren hat sich die Siemensstadt auf eine Warhol-Trumpsche Factory reduziert. Die Kunst der Künstler-Unternehmer in dieser Stadt besteht vor allem darin, aus ihren Ideen Geldbeschaffungsmaßnahmen zu machen. Umgekehrt gilt dasselbe für die Unternehmer-Künstler: aus Geldbeschaffungsmaßnahmen eine Kunst zu machen.“

„Ich verstehe,“ sagte P., „wenn die Biotechnik selbstreproduktionsfähige Werke schafft, dann geht es den Künstler-Unternehmern darum, für sich selbst reproduktionsfähige Projekte zu implantieren.“ „Gleichzeitig werden auch die arbeitslosen postproletarischen Massen mehr und mehr gezwungen, sich künstlerisch-unternehmerisch umzugucken, wollen sie nicht als Man-in-Sportswear-Triebtäter in den Bereich polizeilicher Maßnahmen rutschen.“

„Darum fängt vielleicht die Künstlersozialversicherung jetzt auch schon an, alle unsicheren Kandidaten rauszuschmeißen und die Neuaufnahmen zu erschwerden: Die lösen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ab?“ „Dazu kommt noch der in Deutschland sich durchsetzende Trend, alles erbarmungslos zu musealisieren und zu verkunsten: Jedes KZ und jedes Stasi-Gefängnis, alle Schlösser, Burgen und Fabrikgebäude, ja ganze – überflüssig gewordene – Städte wie Eisenhüttenstadt, Weimar, Potsdam und Bremen – wandeln sich zu museumspädagisch ausgefuchsten Erlebnisräumen. Die Innenstädte werden mit Straßenplastiken und immer gewaltigeren Reklamebotschaften zugeballert, ein Topevent löst das andere ab: Multikulti-Karneval, Schwulendemo, Love-Parade, 1. Mai-Randale, Rollerskate-Rally ...“ „Also: magersüchtige Kulturmanagerinnen wirtschaften heute genauso komplex wie früher verfettete alte Industriekapitäne. Und diese orientieren sich bei ihren Marketingstrategien am ,Lebensgefühl‘ erfolgreicher Junglyrikerinnen ...“ Wir kamen regelrecht ins Schwärmen.

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