: Er gilt als der Kommandeur der Todeslager
Momir Talic, General der bosnisch-serbischen Armee, war völlig ahnungslos, als er von Agenten des Den Haager Tribunals auf einer Militärtagung über die Zukunft des Balkans in Wien festgenommen wurde ■ Von Karl Gersuny
„Wir saßen beim Kaffeetrinken, ganz gemütlich.“ General Milo Milovanovic verschlug es fast die Sprache, als er gestern in seinem bosnischen Heimatort Banja Luka vor die Presse trat. „Da wird mein alter Freund und Mitkämpfer Momir einfach abgeführt, einfach so, von zwei schwer bewaffneten österreichischen Polizisten, die mir dann noch frech erklären: Ihr seid doch alle das gleiche Pack, alles Kriegsverbrecher.“ Er habe die Worte verstanden, erklärte Milovanovic in der Pressekonferenz, und sei sofort von Wien abgereist, wohin er in seinem Leben auch nicht mehr reisen wolle.
Hintergrund der Entrüstung ist die Verhaftung eines Waffengefährten von Milovanovic, des Generals der bosnisch-serbischen Armee, Momir Talic, am Mittwoch bei einer Expertentagung in Wien. Agenten des Den Haager UN-Tribunals zur Ahndung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien nahmen den verdutzten General fest. Talic und Milovanovic hatten eine offizielle Einladung der Österreichischen Gesellschaft für Militärfragen und der OSZE-nahen Landesverteidigungsakademie Wien angenommen und wollten über die Zukunft der Balkanregion diskutieren. Noch ist offen, ob die Veranstalter wussten, was das Den Haager Tribunal vorhatte, oder ob sie – wie offiziell dargestellt – selbst im Unklaren gelassen wurden, um die Festnahme Talic' nicht zu gefährden. Ob diese Festnahme nun ein selbstherrlicher Akt aus Den Haag war oder durch das internationale Recht gedeckt ist, wird sicherlich noch Gegenstand heftiger Diskussionen werden. Schon bereiten Belgrader Anwälte eine Beschwerde vor, sprechen serbische Medien von „Selbstherrlichkeit“ des Tribunals, dessen Agenten als „Fallensteller“ angeblich einen unschuldigen serbischen General festnahmen, „um ihn in einem Schauprozess vorzuführen“.
In Den Haag wird die überraschende Festnahme Talic' anders ausgelegt: Man habe keine andere Wahl gehabt, als den Serbengeneral in einem Augenblick festzunehmen, wo dieser ahnungslos gewesen sei. Denn hätte man ihn öffentlich zur Fahndung ausgeschrieben und die bosnisch-serbischen oder die Belgrader Behörden um die Festnahme Talic' gebeten, wäre dieser wie andere mutmaßliche Kriegsverbrecher vor ihm sicherlich untergetaucht. Das zeige das Beispiel des Generals Ratko Mladic und des bosnischen Serbenführers Radovan Karadžic, die bis heute auf freiem Fuß sind.
Die elfseitige Anklageschrift gegen Talic, die erst am 12. März dieses Jahres fertiggestellt wurde, spricht jedoch für sich: Demnach war der General einer der engsten Vertrauten von Mladic und Karadžicc und als Mitglied des siebenköpfigen „Krisenstabes“ der bosnischen Serbenregierung direkt für Massenmord und Vertreibung zuständig. Demnach führte der heute 67jährige General zwischen April und Dezember 1992 das Oberkommando im „5. Militärbezirk“ der selbstproklamierten „Republik Krajina“, aus der später die „Republika Srpska“ hervorging. In diese Zeit fallen die Massendeportationen von Kroaten und Bosniaken in die berüchtigten Todeslager Prijedor, Omarska, Keraterm und Trnopolje. Alle diese Todeslager standen unter dem Kommando von General Talic.
Dennoch wird Talic für Folter und Morde in den Lagern nur eine indirekte Verantwortung zugeschrieben. Nirgends soll er direkt vor Ort eine Einheit befehligt oder den Befehl zum Erschießen von Zivilisten gegeben haben, was beispielsweise Mladic sehr wohl vorgeworfen wird. Ob der General jemals in einem der vielen Internierungslager war, bleibt ebenfalls unbeantwortet.
Dass Talic der Oberkommandierende der bosnisch-serbischen Rebellenarmee in der Region um Prijedor war, war nie ein Geheimnis. Dass der General zum engsten Führungskreis zählte, dass er Vertreibungen von Kroaten und Bosniaaken plante und auf grausame Weise ausführte, ist in ganz Bosnien bekannt. Beim Lesen des Anklagetextes – im Internet ist der Fall IT-99-36 übrigens unter www.un.org/icty/index.html einzusehen – fällt auf, dass die Vorwürfe gegen Talic mit keinerlei neueren Erkenntnissen angereichert sind. Dennoch plädiert die Anklägerin Louise Arbour auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Artikel 5 und 7 des Kriegsverbrechertribunals. Die Frage bleibt, warum Den Haag nicht schon einige Jahre früher Anklage gegen Talic erhoben hat.
Eine weitere Frage stellt sich bei der Lektüre des Haager Dokuments: Werden bald noch mehr Schreibtischtäter verhaftet, nur aufgrund der Tatsache, dass sie in Führungspositionen saßen? In weiten Passagen ist die Anklage gegen Talic sehr allgemein gehalten, es wird daraus nicht klar ersichtlich, ob der General tatsächlich aktiv die Vertreibungsaktionen mitplante oder nur den Befehlen Karadžic' und Mladic' gehorchte. Mit einer solchen Anklage könnten zumindest theoretisch noch einige hundert Politiker und Militärs belangt werden, solche Anschuldigungen passen auf zahlreiche heute führende Militärs und Politiker der Region, und das auf allen Seiten. Dies mag erklären, weshalb auch Talic' Mitstreiter Milovanovic Hals über Kopf von Wien nach Banja Luka zurückreiste und angeblich Österreich sein Leben lang meiden wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen