: Wenn Sparen zur Volkshysterie verkommt
betr.: „Die letzte Predigt“ (Die Forderung nach Umverteilung zieht nicht mehr) taz vom 1. 9. 99)
In ihrem Kommentar macht Barbara Dribbusch, darauf aufmerksam, dass sich die Umverteilungsdiskussion keineswegs erledigt hat, aber zur Zeit auch innerhalb der SPD wenig Zuhörer findet. Das alte Thema bedürfe deshalb einer neuen Rhetorik. Hier nun ein Vorschlag, wie man den Mittelstand und die Mittelschicht und alle, die sich von den sogenannten „Machern“ in der SPD vertreten fühlen, an ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen packen kann:
[...] Mittlerweile ist deutlich geworden, nicht die Exportdaten stagnieren, sondern der Binnenmarkt. Der Bevölkerung bis hoch zur mittleren Mittelschicht (damit sind gut ausgebildete, unselbständig Beschäftigte genauso gemeint, wie kleine und mittlere Gewerbetreibende) ist dank der einseitigen „Sparpolitik“ das Geld ausgegangen, sie ist in den letzten Jahren deutlich „ärmer“ geworden. In Deutschland kann deshalb immer weniger verkauft werden und vor allem deswegen – und nicht aufgrund der Globalisierung – schrumpft der Binnenmarkt/ der Absatz.
Wo nichts verkauft werden kann, lohnt sich keine unternehmerische Initiative, egal wie niedrig Lohnkosten, Kreditkosten und Steuern sind. Der höhere Gewinn, den sich manche Unternehmer bei niedrigeren Kosten versprechen (den sie zum Teil zunächst auch haben) wird deshalb nicht wieder in das Unternehmen investiert. Schließlich wissen die Unternehmer, zusätzliche Absatzperspektiven für neue Produkte und Dienstleistungen lässt die stagnierende Binnennachfrage zur Zeit nicht erkennen!
[...] Liegen die Interessen der Existenzgründer, der Handwerksbetriebe und der kleinen Unternehmer wirklich bei der rigiden Sparpolitik des Herrn Eichel? Was nützen klein- und mittelständischen Betrieben, die zum großen Teil vom Binnenmarkt abhängen, eigentlich niedrige Löhne, niedrige Steuern und niedrige Zinsen, wenn der Geldbeutel der potentiellen Kunden völlig geleert wird und wenn in Deutschland das Sparen zur Volkshysterie verkommt? Wer nicht verkauft, keinen Absatz hat, bei dem addieren sich die laufenden Kosten (Kreditzinsen, Lohnkosten, sonstige Betriebskosten) – egal wie niedrig diese tatsächlich sind – rasch zu über hundert Prozent (minus). – [...] Man ist keineswegs ein „Miesmacher“, wenn man daran erinnert, dass das Verkaufen die Basis von (und die Motivation zu) jedem Geschäft ist! Lohnkosten, Steuern und Kreditkosten stehen doch erst an zweiter Stelle. Wo kein Absatz ist, da gibt es in keinem Fall etwas zu verdienen, egal ob alle anderen unternehmerischen Kalkulationen stimmen! [...]
Die Vorteile, die sich unter Umständen durch niedrige laufende (Standort-)Kosten für große Konzerne (und für Aktionäre) auf dem globalen Markt ergeben, gelten nicht in gleicher Weise für Betriebe wie Bäcker, Fahrradhändler, Fliesenleger, mittelständische Bauunternehmen usw., die ihren Absatz vor allem regional suchen, ganz im Gegenteil!
Der Absatz in Deutschland bei den Begüterten läuft nach wie vor gut, er wird nicht weiter ausgebaut werden können, um den Binnenmarkt anzukurbeln. Außerdem gilt, die Reichen werden kräftig weiterkonsumieren, egal z.B., ob eine Vermögenssteuern oder ähnliches eingeführt wird oder nicht. Die Stagnation liegt bei der Mittelschicht! Genau hier fehlt die Kaufkraft und deswegen vermute ich mal, stockt bei vielen Klein- und Mittelständlern das Geschäft? Paradoxer Weise spart Eichel bei der in den vergangenen Jahren eh schon gebeutelten Mittelschicht nochmals! Ist das volkswirtschaftlich gesehen wirklich sinnvoll!? Ingrid Wiegel, Maxdorf
Wir brauchen keine neue Rhetorik. Es genügt vollauf, den ersten Satz des Kommunistischen Manifests von 1848 zu zitieren: „ Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“.
Der besitzenden Klasse ist es zwar gelungen, die Führer der linken Parteien ruhig zu stellen, ihnen ihr Vokabular (Globallerisierung, Liberalla, ...) und ihre Gesinnung aufzuzwingen; aber die herrschende Klasse wird einsehen, dass sie sich selbst ändern muss, wenn sie nicht in naher Zukunft hinter Mauern und Stacheldraht ihre ewigwährenden Parties feiern will.
[...] Wir brauchen keine Vermögenssteuer, sondern einen Lastenausgleich, der anders als nach dem Krieg von 1945 diesmal seinen Namen wirklich verdienen muss. Hartmut Bernecker, Bietigheim
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