: Yellow: eine hochinteressante Oberfläche
betr.: „Kartellamt geht ein Licht auf – Billigstrom für alle“, taz vom 2. 9. 99
Das Gerücht: Yellow-Strom kostet 19 Pf/kWh wegen des hohen Atomstromanteils. Jetzt fangt ihr nicht auch damit an, den Marketinggag dieser Firma zu verbreiten. Die 19 Pfennig kommen zu einem sehr großen Teil allein wegen der extrem hohen Grundgebühr von 19 Mark im Monat (= 228 Mark jährlich) zusammen. Normal sind derzeit ca. 60 Mark pro Jahr! Ein Rückfall in alte Zeiten, als allgemein bei den Stadtwerken wegen der hohen Bereitstellungskosten Stromsparen wenig attraktiv war. Zaubern können die auch nicht!
Ein Durchrechnen auf der Basis meines Stromverbrauchs ergab tatsächlich eine Einsparung gegenüber dem alten (!) neuen RWE-Tarif, aber nur geringfügig, aufgrund der hohen Grundgebühr in der Summe sehr viel weniger, als die 19 Pfennig suggerieren – und die neuen RWE-Tarife könnten am Ende sogar preiswerter sein (trotz 25,9 Pfennig/kWh), falls die jetzt nicht auch mit solchen Spiränzchen anfangen, einfach nur die Gesamtkosten anders aufzuteilen.
In meinen Augen ist Yellow viel eher eine hochinteressante Zeiterscheinung dergestalt, wie man mit einer perfekt arrangierten und teuer bezahlten Werbe-„Oberfläche“ in kürzester Zeit in das öffentliche Bewusstsein rückt, dabei ein ganz bestimmtes Bild (!) von sich transportiert, teilweise völlig unabhängig von den realen Gegebenheiten – und mehr keineswegs, das aber bis in die Titelseiten der Tageszeitungen hinein.
Die Entwickler und Ausführenden dieses Marketingprojektes sind zu beglückwünschen, perfekte Arbeit. Auf der Strecke bleiben die üblichen Toten und Verletzten!
Thomas Naujokat, Bremen
Nun ist es soweit, technische Bedenken der Berliner Bewag gegen Billigstromimport aus Westdeutschland werden vom Kartellamt nicht anerkannt, jetzt kann jeder billigen Strom beziehen, ein Sieg der freien Marktwirtschaft. Wirklich ein Grund zur Freude?
Der Kleinverbraucher spart – vielleicht 100 Mark im Jahr, die öffentliche Hand spart – schon größere Summen, die sie dann in Form von Arbeitslosengeld für die entlassenen Bewag-Mitarbeiter mehrfach wieder ausgeben muss –, Industrie und Gewerbe sparen – und können mehr in energieintensive Maschinen investieren und danach Mitarbeiter entlassen. Und die Umwelt?
Bisher war (West-)Berlin Spitzenreiter im Erzeugen umweltfreundlichen Stroms durch Kraft-Wärme-Kopplung. [...] Und jetzt: Billiganbieter liefern Strom aus Kohlekraftwerken mit schlechtem Wirkungsgrad oder aus abgeschriebenen Kernkraftwerken in Frankreich – demnächst vielleicht auch aus der Ukraine – Stromtransporte über riesige Entfernungen erfordern weitere Überlandleitungen: Verschandelung der Landschaft, Transportverluste, Elektrosmog. [...]
Die Stromkosten ließen sich auch durch effektiveren Einsatz des Stroms (taz vom 4./5. 9., „Stromfresser ade“) senken. Dieses Sparbewusstsein wird durch Preissenkungen im Energiebereich boykottiert, energieeinsparende Investitionen werden behindert – auch das kostet wieder Arbeitsplätze. [...] Ulrich Traub, Berlin
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