: Tantra für Schwangere
■ Vier Künstler bearbeiten ihr kommerzielles Umfeld auf KX
Zur Zeit ist sich kein Künstler zu schade, in marktähnlichen Inszenierungen das Weihnachtsgeschäft auf Kunstkäufe umzuleiten. Da ist es erfrischend, wenn „KX-Kunst auf Kampnagel“ vier Künstler zeigt, die in unterschiedlicher Weise das alltägliche Kommerzumfeld ironisch-kritisch bearbeiten.
Babyidyllen und lachende Bären, Familienpiktogramme der DDR und westliche Firmenlogos fügt Gabriele Basch aus Berlin zu ihren ornamentalen Schnittbildern. Symmetrisch und ganz weiß wie Schnee sind sie zugleich unschuldig und ein bißchen vergiftet, eine Art Tantra für Schwangere.
Astrid Herrmann zeigt nach Nummern gemalte Bilder. Kunst, wo bist Du? Etwa im Hauch von Individualität, die sich auch bei solcher Reproduktion einschleicht? Oder in der Interpretation dessen, welches Rot für „3“ genommen wird? Am ehesten vielleicht noch in der Zeit, die jemand bereit ist, sich dieser schlecht entlohnten Beschäftigung „Kunst“ zu widmen.
Fragen über Fragen auch vor den Fotos von Peter Dombrowe. Der Teich mit Schilf und Biberburg ist auf den ersten Blick irgendwie seltsam. Die Landschaft scheint teils real, teils gemalt – und genau das ist sie auch: Es sind Fotos von Dioramen aus dem Naturkundemuseum. Wahrnehmungsbrüche sind Thema des Künstlers, der auch Selbstporträts in seiner Wohnung zeigt. Eiche rustikal und Jugendzimmer, Küche mit Pappmache-Käse: Kann man wirklich so wohnen?
Ein sich quer durchs Bild schlängelndes Fotokabel und die Preisschilder an den Möbeln sind die verräterische Spur: alles im Möbelhaus gestellt. Auch in Miniaturwelten dringt Dombrowe ein und gesellt sich zu Modelleisenbahnern: Seine Fotos befragen klischeehafte Standardisierung mit seltenem Humor.
Etwas abgesetzt im Kabinett für Zeichnung Manfred Miersch. Der Berliner untersucht in seinen komplexen Aktionen das Betriebssystem Kunst. Er klassifizierte Vernissagen-Einladungskarten und fordert in einer Internet-aktion auf, vergessene Bücher neu zu schreiben. In KX reflektiert er die Ebenen einer Ausstellung. Ausgangspunkt dabei sind „Auggener Schäf“, „Flonheimer Adelberg“ und „Ibbesheimer Herrlich“: Weinlagen, deren Etiketten Miersch wie ein Gebrauchskünstler entwirft. Die Zeichnungen werden in verschiedenen Verfahren inszeniert, fotografiert und verfremdet, bis sie als große Ausdrucke an der Wand hängen. Zeichnungen, Modell und Fotos werden ausgestellt, nur nicht die Originale, die es vielleicht gar nicht mehr gibt.
In der Medienwelt werden ständig Felder umrahmt, statt benannt. Selbst bei einem scheinbar objektiven Dokument, wie dem Foto, ist die Inszenierung wichtiger als die Sache. Und diese Ausstellung unter dem sportlich-militärischen Titel Eroberung des Zentrums von den Flügeln aus befragt verschiedene Inszenierungsebenen. Miersch bevorzugt die wissenschaftlich-konzeptuelle Variante, die drei anderen Ironie. Hajo Schiff
KX-Kunst auf Kampnagel, Do-Sa 16-20 Uhr, bis 30.12.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen