: Venezuelas Revolutionär macht Revolutionspause
■ Präsident Hugo Chávez nimmt seine „Verfassungsgebende Versammlung“ an die Leine: Das Parlament darf wieder tagen, Bürgermeister und Gouverneure werden nicht entlassen
San Salvador (taz) – Hugo Chávez und seine Verfassungsgebende Versammlung spüren zum ersten Mal richtigen Gegenwind und weichen zurück. Zur immer deutlicher geäußerten Kritik der USA an der sogenannten „demokratischen Revolution“ des venezolanischen Präsidenten kam Ende vergangener Woche eine erste Massendemonstration gegen die von der Verfassungsgebenden Versammlung geplante Absetzung von Bürgermeistern und Provinzgouverneuren. Unter dem Druck von außen und innen machten die Chávisten Konzessionen: In einem am Freitag veröffentlichten Abkommen zwischen Verfassungsgebender Versammlung und Kongress wurde die Ende August vollzogene Entmachtung von Senat und Abgeordnetenkammer wieder weitgehend zurückgenommen.
Unter der Vermittlung der katholischen Kirche wurde vereinbart, dass der Kongress am 2. Oktober aus der Sommerpause zurückkehrt und wieder ganz normal seine Arbeit aufnimmt. Die einzige Einschränkung: Die Tagesordnung stellt eine Kommission auf, in der auch Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung sitzen. Damit sollen weitere Konflikte zwischen beiden Gremien vermieden werden
Ende August hatte das noch ganz anders ausgesehen. Die von Chávez-Anhängern dominierte Verfassungsgebende Versammlung hatte den „legislativen Notstand“ ausgerufen und die Tätigkeiten des Kongresses eingeschränkt. Als der Kongress daraufhin zu einer Sondersitzung zusammengerufen wurde, kam es zu Schlägereien vor dem Parlamentsgebäude.
Die Machtprobe endete mit einem Verbot weiterer Sitzungen für den Kongress. Im Siegestaumel wollte die Verfassungsgebende Versammlung gerade so weitermachen: Als nächster Schritt war ein „exekutiver Notstand“ vorgesehen, in dessen Folge Provinzgouverneure und Bürgermeister abgesetzt werden sollten.
Das aber ist nicht so einfach. Anders als die Parlamentarier, die fernab vom Volk in Caracas kungeln und von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung für korrupt gehalten werden, verfügen die Bürgermeister über eine mobilisierbare Hausmacht. Schon allein die Ankündigung des „exekutiven Notstands“ trieb am Donnerstag in Caracas rund 20.000 Menschen gegen Chávez auf die Straße. Die Verfassungsgebende Versammlung schreckte zurück. Und Chávez merkte, dass er doch nicht tun und lassen kann, was er will.
Zum großen Kahlschlag in der Provinz wird es deshalb kaum kommen. Allenfalls einzelne Anklagen gegen besonders korrupte Bürgermeister seien möglich, heißt es in Caracas. Kongress und Verfassungsgebende Versammlung werden von Oktober an abwechselnd im selben Gebäude tagen. Ob sich die Verfassungsgebende Versammlung dann ihrer eigentlichen Aufgabe – dem Erarbeiten eines neuen Grundgesetzes – widmen wird, ist noch nicht abzusehen. Bislang hat sie zu diesem Thema kein einziges Schriftstück veröffentlicht. Und am Wochenende hat sie beschlossen, statt wie bislang dreimal nur noch einmal in der Woche zu tagen.
Viel Arbeit hat sie ohnehin nicht. Chávez hat längst einen „Entwurf“ einer Verfassung nach seinem Gusto erarbeitet. Und dieser Entwurf wird wohl, von kleinen Änderungen abgesehen, im November abgesegnet werden. Im Dezember soll der dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Danach werden aller Voraussicht nach Neuwahlen stattfinden.
Toni Keppeler
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