: Sinfonik des Widerstands
■ Christlich beschränkt: Ernst Ulrich von Kamekes Widerstands-Requiem „In Tyrannos“
So etwas ist selten in Hamburg: die Erstaufführung eines Requiems. Und sozusagen homemade. Denn Komponist Ernst-Ulrich von Kameke, ein Fortner-Schüler, ist zwar geborener Potsdamer, lebt und arbeitet aber als Orgelprofessor an der Musikhochschule und Ex-Kirchenmusikdirektor an St. Petri seit langem an der Elbe.
Sein Moabiter Requiem In Tyrannos zum Gedenkenan die Opfer des Deutschen Widerstands, das heute im Michel zu hören ist, entstand zwischen 1993 und 1994. Dessen Mahnung gilt zwar der abstrakten „Tyrannei aller Zeiten“, es widmet sich indes monumental – drei Chöre und ein Kinderchor sind aufgeboten, drei Solosänger, drei Sprecher, Orchester und Orgel – der finsteren Konkretheit der nationalsozialistischen Barbarei, deren grausame Betreiber in der Dokumenten-Collage der drei Librettisten/Textredakteure Dorothee von Hammerstein, Ulrich Wilckens denn auch in persönlichen Zeugnissen zu hören sind.
Das Wort aber führen von Kamekes eigentlichen Protagonisten, die Opfer des NS-Regimes und die Frauen und Männer „des Deutschen Widerstands“, die er mit seinem Werk als Leitbilder verstanden und als solche im Bewusstsein der Zukunft verewigt wissen möchte. „Der“ deutsche Widerstand, von dem von Kameke spricht, beschränkt sich im Moabiter Requiem allerdings genau auf eben jenen „deutschen“ Teil, der in der alten BRD nach 1945 allein öffentlich wahrgenommen wurde: der Widerstand des 20. Juli 1944 (Ullrich von Hassell, einer der Verschwörer, war Pate des Komponisten), namentlich dessen – überwiegend protestantisch – kirchlicher Teil mit Persönlichkeiten wie Dietrich Bonhöffer, Julius Leber und Martin Niemöller. Dem durchaus nicht namenlosen politischen Teil des kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstands widmet sich übrigens Hanns Eislers, im Text-Musik-Verhältnis dem Moabiter Requiem nicht unähnliche, große Deutsche Sinfonie, die freilich ihrerseits den christlich motivierten Widerstand ausklammert.
54 Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur bedarf die Bundesrepublik offenbar immer noch einer umfassenden Würdigung des Widerstands und zwar sowohl seiner dem Gebet als auch der dem Kampf verpflichteten Teile. Insbesondere eine hinsichtlich der Vergangenheit trös-tende – sofern dies überhaupt möglich ist –, hinsichtlich der Zukunft mobilisiderende Antwort auf die von der Geschichte immer neu gestellte Frage „Wozu ?“ erscheint nötig. Die Initiative des Johanniterordens, der mit dieser Erstaufführung sein 900-jähriges Jubiläum begeht, und der Kantorei St. Jacobi, mit Orchester und Chören unter Leitung von Kirchenmusikdirektor Rudolf Kelber, verdient darum Respekt und – Gehör. Stefan Siegert
heute, 19 Uhr, Hauptkirche St. Michaelis
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