: Missglückte Fabrikaktion
Von Puppenspiel über Video zu Dokumentartheater: Die IV. Werkstatt-Tage der freien Theater zeigen viel vor wenig Publikum im Theaterprobenhaus Mitte. Das macht immerhin die Athmosphäre intim ■ Von Ingrid Beerbaum
Im Hintergrund eine Videowand, auf der Ausschnitte aus alten Ufa-Filmen laufen. Davor vier Personen an einem Tisch, die Augenzeugenberichte eines ungewöhnliches Ereignissses aus dem Winter 1942/43 vorlesen: Mehrere hundert Frauen hatten sich im Februar 1943 vor einem Gebäude in der Rosenstraße in der Spandauer Vorstadt versammelt. Sie forderten lautstark die Freilassung ihrer jüdischen Angehörigen, die von dort aus nach Auschwitz deportiert werden sollten. Goebbels hatte diese sogenannte „Fabrikaktion“ geplant, weil er dem „Führer“ zum Geburtstag ein „judenfreies“ Berlin schenken wollte. Dazu kam es nicht. Auf das Drängen der Frauen hin mussten die Inhaftierten freigelassen werden.
Das LOT-Theater aus Braunschweig hat sich dieser Geschichte angenommen und zeigt sie heute auf Einladung der „IV. Werkstatt-Tage der freien Theater“ im Theaterprobenhaus Mitte. Das Stück „Rosenstrasse '43“ von Gilbert Holzgang ist in das rare Genre des Dokumentartheaters einzuordnen. Augenzeugenberichte aus dem Winter 1943 aus Berlin, Dresden und Braunschweig wurden mit Tagebucheintragungen von Joseph Goebbels, Filmen und Musik dieser Zeit kombiniert.
Die Werkstatt-Tage, die vergangenen Donnerstag begannen und noch bis kommenden Montag dauern werden, präsentieren Gastspiele und im Haus entstandene Produktionen, wobei von letzteren nur eine kleine Auswahl gezeigt wird. Immerhin achtzig Stücke sind am Koppenplatz schon entstanden, meist mit Leuten, die Theater als selbstausbeuterisches Hobby betreiben. Welche dieser Produktionen nun zu sehen sind, wurde nicht allein durch ihre Qualität, sondern auch aus praktischen Gründen entschieden – viele der im vergangenen Jahr dort arbeitenden Gruppen existieren bereits nicht mehr. Man entschied sich für Stücke mit wenigen Figuren, wie beispielsweise „Auf hoher See“ von Slawomir Mrozek. Auch „Die geliebte Stimme“ von Jean Cocteau und „Bis Denver“ von Oliver Bukowski werden auf der Dachbodenbühne gezeigt. Und Kindertheater und Puppenspiel.
Die Publikumsresonanz war bislang eher mager, was schade ist, aber die Atmosphäre familiär macht. Nach den Vorstellungen kann man sich mit dem Ensemble über das Stück unterhalten, was von den Zuschauern gerne genutzt wird. Als Rahmenprogramm werden außerdem Workshops angeboten.
Doch nicht nur fertige Stücke werden gezeigt, es gibt auch einen Videofilm von Heike Petzke über ein Theater-Film-Projekt und eine öffentliche Probe von Jürg Altmanns „Bildkörper Kaspar Hauser“. Kindertheater, Puppenspiel und Clownerei fehlen auch nicht, nicht einmal eine deutschsprachige Erstaufführung: Die Inzenierung von Oleg Bogajews „Tote Seele oder die aktualisierte Geschichte des Klopapiers“ von PT Ostdramatik der FU Berlin. Morgen gibt es Fassbinders „Nur eine Scheibe Brot“ in der Regie von Ulf Otto und zum Abschluss des Festivals zeigt die Stiftung Theater and Guests am Sonntag um 20 Uhr die Dreierkombi „(Gretchen) Goethe u. a.“
Theaterprobenhaus Mitte, am Koppenplatz 3 – 4
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