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Bitte hüpfen Sie jetzt    ■ Von Susanne Fischer

Sie heißt ausgerechnet Ulli. Das kann auch nur mir passieren. Natürlich steht in ihrem Ausweis in Wahrheit Ulrike, denn diesen Namen tragen ja alle Frauen in meiner Generation, die nicht Susanne oder Sabine gerufen werden. In Folge der breiten Streuung des Vornamens kenne ich selbstverständlich auch respektable Ulriken. Meine ehemalige Mitbewohnerin zum Beispiel: Sie schaute sich bereitwillig mit mir uralte, schlechte Spielfilme im Fernsehen an, aß dazu sympathische Mengen Schokolade und putzte den Fußboden genau so ungern wie ich. Allerdings wurde sie Rieke genannt. Kein Mensch wäre je auf die Idee gekommen, Ulli zu ihr zu sagen.

Also Ulli. Ulli leitet die Frauengymnastik. Ulli hat so viel Fett an sich wie ein Knäckebrot vor dem Schmieren. Ich bin sicher, sie stößt Fett ab, wenn ihr mal welches zu nahe kommt. Ulli hat lange, weißblonde Haare, wie sie jede gerne hätte, aber bei ihr ist es Natur. Ulli hüpft. Ulli strahlt. Ulli kann beides gleichzeitig im Rhythmus von „Mambo Number Five“, während mir die Hantel auf die zu großen Füße fällt. Ich bin mit Ulli in einem Raum, weil ich nach der Geburt meines einzigen Kindes und einer längeren Besinnungspause gern wieder etwas flotter auf den Füßen wäre. Ulli hat längst zwei Kinder. Das erste war ein Kaiserschnitt, aber das zweite soll sie hüpfend bekommen haben. Ulli brüllt. Sie brüllt, weil die Musik so laut ist, nicht etwa, weil sie böse wäre. Ulli ist niemals böse, sondern programmatisch gut gelaunt. Zwischendurch lacht sie, damit niemand glaubt, sie wäre nicht gut drauf, und damit ihr knalliger Lippenstift besser zur Geltung kommt. Während einer Turnstunde probiert sie drei verschiedene Frisuren mit ihren langen, blonden Haaren. Eine Sorte Pferdeschwanz und zwei Arten komplizierter Hochsteckarrangements. Ihre Frisuren können nämlich nicht so schön hüpfen wie sie, aber das müsste Ulli längst wissen. Doch jedesmal, wenn sie ihre Frisur ändert, leuchten ihre Haare wie eine Signalfahne auf. Rundherum trampeln inzwischen wir, ihre ganz private Kuhherde, keuchend und rotgesichtig und versuchen so zu sein wie Ulli.

Die Ullis hatten immer die besten Kerle. Sie glänzten bei der Leichtathletik, am Stufenbarren und auf dem Klassenfest. Sie hüpften stets gut gelaunt auf dem Pausenhof herum. Ihr Pferdeschwanz wirbelte wie von einem Motor getrieben. Sie hatten Klamotten, die wir nicht hatten, und wenn wir sie hatten, standen sie uns nicht. Die Ullis waren immer schon da, wenn wir noch mitten auf dem Weg umherkrochen. Einzig in Mathematik waren die Ullis zu schlagen, aber das waren schale Siege, die keinerlei Prestige einbrachten.

Kann es einen trösten, dass die Ullis schließlich in der Provinz als Einpeitscherinnen für unbewegliche, übergewichtige Tanzbärinnen herhalten müssen? Dass der typische Ulli-Glamour doch nie über die Vorstadt hinaus geführt hat? Natürlich nicht. Nicht solange ich selbst auf der Nicht-Ulli-Seite des Lebens und der Waage stehe. Da hilft wirklich nur eins: auf die nächste Gymnastikstunde warten. Nicht hingehen. Vor den Fernseher setzen, die Schokolade in Reichweite, einen alten Spielfilm einschalten. Einen ganz schlechten, wenn es sich einrichten lässt. Und dann beim Kauen bitte nicht hüpfen.

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