Sturz durch das Bildungsraster

■  Gemeinützige Zukunftsbau sucht Perspektiven für Jugendliche, die sich nicht ins duale Ausbildungssystem integrieren lassen

Verhaltener Optimismus bei der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK): Die Zahl der Ausbildungsplätze steige. Und obwohl genaue Zahlen fehlten, sei die Tendenz erkennbar: Während die traditionellen technischen Berufe im Abwärtstrend lägen, seien die kaufmännischen Jobs, besonders im Kommunikationsbereich, auf dem Vormarsch.

Der Entwicklung müssen auch Träger Rechnung tragen, die jene im Blick haben, die durch die Maschen des Systems der beruflichen Bildung fallen: Jugendliche ohne Schul- und Ausbildungsabschluss und mit geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Viele freie Träger für die Ausbildung benachteiligter Jugendlicher orientieren sich zur Zeit um, um den Anschluss an die moderne Dienstleistungswelt nicht zu verpassen. Träger wie die die gemeinnützige Zukunftsbau GmbH in Berlin-Wedding.

Seit 1981 ist die Zukunftsbau eine feste Größe unter Berlins Sozialprojekten. Sie hat Ausbildungsbaustellen in der ganzen Stadt. Pädagogisch geschulte Mitarbeiter bilden dort Jugendliche aus, die als nicht ausbildungsfähig gelten, meist keinen Schulabschluss geschafft und eine Drogenkarriere längst hinter sich haben. Auf den Baustellen der Zukunftsbau lernen sie Maurer, Zimmermann oder Maler.

„Auch in diesen Berufen kommt man um die neuen Medien nicht mehr herum“, sagt Zukunftsbau-Chef Dieter Baumhoff. Der 46-jährige Psychologe, Leiter und Mitbegründer der Zukunftsbau will diesen Bereich schwer vermittelbaren Jugendlichen zugänglich machen. In Multimediatechnik, digitalem Schnitt und Internet möchte er Angebote schaffen. Zunächst in kleinem Maßstab. Das ist teuer. Immerhin unterstützt eine Babelsberger Multimediafirma Zukunftsbau auf ihrem Weg in die Informationsgesellschaft.

1.300 Berliner Jugendliche nehmen allein an den mehr als dreißig Projekten der Jugendhilfe teil. Ihre Unterstützung lässt sich das Land Berlin rund 75 Millionen Mark kosten. Die Summe, heißt es aus dem Haus der Jugendsenatorin, will man trotz der ungewissen Haushaltslage halten. Die Zielgruppe möchte der Senat durch „effektivere Verknüpfungsmaßnahmen“ noch vergrößern. Das bedeutet: weniger Fördermittel pro Kopf. Deshalb gibt es für die Ausbildung in sozialpädagogischen Projekten nun weniger Geld, sowohl für die Anbieter als auch für die Auszubildenden. Ihr Lehrgeld wurde im vergangenen Jahr um fast ein Drittel auf rund 500 Mark gekürzt. Bei der Integration benachteiligter Jugendlicher auf dem Arbeitsmarkt heißt die Priorität der PolitikerInnen: betriebliche Ausbildung.

Die Zukunftsbau ist zu rund einem Drittel öffentlich gefördert. Sie ist ein Zwitter in der Landschaft der sozialen Ausbildungsprojekte und unterscheidet sich von anderen Einrichtungen durch ihr innovatives Konzept: Als eigenständige, wirtschaftlich arbeitende Firma bildet sie aus. Das soll die Chancen der Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen.

Vor kurzem jedoch wurden Stuck- und Elektrogewerke geschlossen, Mitarbeiterstellen abgebaut: Das Unternehmen war nicht mehr konkurrenzfähig. Das gleicht einem schrittweisen Rückzug aus dem Baugeschäft.

Dabei blickt die gemeinnützige Baufirma, die Anfang des Jahres ihre von Jugendlichen gebauten Räume in Weißensee bezog, auf eine erfolgreiche Arbeit zurück: 1.500 junge Leute wurden seit 1983 handwerklich ausgebildet, die hundert Ausbildungsplätze sind ständig ausgebucht. Mehr als dreißig Prozent der Mädchen und Jungen schließen die Ausbildung ab. Ein hoher Prozentsatz. Bei den meisten Jugendlichen mit einer schwierigen Biografie führten allerdings akute Krisen oder ein Rückfall in die alte Szene zum Abbruch, viele fänden sich mit einem geregelten Leben in der Ausbildung nicht zurecht, so Baumhoff.

„Der Staat finanziert einen Missstand“, sagt Baumhoff. Da liegt für ihn einer der Knackpunkte der Misere. In den Behörden herrsche noch immer strenges Schubladendenken: Jugendliche, die sich überhaupt nicht ins duale Ausbildungssystem integrieren ließen, würden einfach über einen Kamm geschoren und irgendeiner Ausbildung zugeordnet.

Die 16- und 17-Jährigen, die die Jugend- oder Sozialämter zu den Einrichtungen der freien Träger schicken, hätten oft falsche oder diffuse Vorstellungen: „Wer selbst nicht weiß, was er will, ist oft zum Scheitern verurteilt. Doch die Behörden ignorieren dieses Problem.“ Die Folge: Die Jugendlichen würden auf „Zwischenlösungen verteilt“, so Baumhoff, auf denen sie letztlich nur geparkt seien. Denn aus diesen Maßnahmen kämen sie ohne neue Perspektiven wieder heraus.

Die Fantasielosigkeit des Systems, so Baumhoffs Fazit, sei es, die genauso wie die eigene problematische Vergangenheit die Jugendlichen auf dem Weg zu einer eigenen Zukunft behindere. Und die muss ja nicht mehr nur auf den Bau führen. Christoph Rasch