Sauber gegen den Strom schwimmen

■ Danke: Der Pianist Maurizio Pollini gab beim Musikfest sein Bremen-Debüt

Viele PianistInnen waren im Publikum. Doch während man in vergleichbaren Fällen häufig Mäkelei beobachten kann, waren die Urteile diesmal klar: Das Können des Musikers da oben auf der Bühne ist sozusagen im Jenseits angesiedelt. Die Rede ist von Maurizio Pollini anlässlich seines ersten Auftritts in Bremen.

Der 1942 geborene Pianist steht zu Recht an der Weltspitze der Pianisten, was man von vielen von der Industrie hochgejubelten Talenten nicht sagen kann. Pollini war bereits als 18-Jähriger Sieger des Warschauer Chopin-Wettbewerbs und zog sich danach jahrelang zum Weiterstudium zurück. 1976 wurde er in einer Kritikerumfrage als „bester Pianist der Welt“ bezeichnet und war doch lange ein Geheimtipp geblieben. Denn erstens interpretierte er konsequent die Musik des 20. Jahrhunderts – die wichtigsten Kompositionen von Luigi Nono sind ihm gewidmet. Zweitens baute und baut er jenseits aller virtuosen Kulinarik Programme wechselseitiger Werkbeleuchtungen, die dem Hörer häufig einiges zu knacken geben. Und drittens ist seine durch und durch strukturelle Spielweise, die Pedal- und Akkordnebel wunderbar zu zerteilen scheint, nicht jedermanns Sache.

In den Zeiten, in denen man den neoromantischen Plüsch und die große Geste liebte, bestand Pollini auf der gläsernen Klarheit und Durchsicht des kompositorischen Baus. Mehr noch: Es gibt – übertrieben gesagt – bei Pollini kaum Interpretation, er spielt ganz einfach die Noten. Es kommt ihm einzig und allein darauf an, den Text von allen aufgesetzten Gesten und Gebärden zu säubern. Das macht er konzentriert, unerbittlich und mit einzigartigem handwerklichen Können.

In diesem Sinne war das Konzert in der Glocke, nach dem die Menschen im Saal spontan zu Ovationen aufstanden, ein Ereignis. Zwischen Ludwig van Beethovens „Elf neue Bagatellen“ op. 119 und „Sechs Bagatellen“ op. 126 setzte Pollini die sechs kleinen Klavierstücke op. 19 von Arnold Schönberg. So platziert, wirken die Stücke von Beethoven wie Vorläufer der atonalen Schönberg-Stücke von 1911. Für die Beethoven-Wiedergabe war bestechend die Einfachheit, das Tänzerische, und auf der anderen Seite die Energien, die sich aufbauen und entladen: Pollini ist ein Meister der Disposition, ein Meister der Klangfarbenwechsel – wenn es „in den Noten steht“. Dagegen stand die hauchvolle Poesie Schönbergs, die der Pianist in zartesten Schattierungen und behutsamen Abtönungen präsentiert.

Im zweiten Teil überzeugte er davon, wie wenig die 24 Préludes op. 28 von Fréderic Chopin als Publikumsreißer pianistischen Tastenrausches gelten können. Pollini spielt ständig gegen Klischees an und schwimmt gegen den Strom: Das Spannungsverhältnis zwischen hochvirtuoser Mechanik und klanglich-subtiler Offenlegung von Strukturen ist außerordentlich, vielleicht einzigartig. Pollini stellt sich absolut in den Dienst der Musik, spielt quasi bewegungslos die wahnsinnigsten Stellen. Frappierend, welche Klarheit seine unglaublichen Tempi – ich wüsste keinen Vergleich – haben, frappierend, wie er in sekundenschnelle Anschlag und damit Farben wechseln kann. Und indem er keine technischen Probleme zu haben scheint, wird alles leicht und selbstverständlich, werden die dramatischen Kontraste ohne Verschnörkelungen deutlich. Danke, Maurizio Pollini! Ute Schalz-Laurenze