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Die harmlosen Zeichen der Distanzierung

■ Gestern Krise, heute Kitsch, Pomp und Comedy: „La Fille Mal Gardée“ ist die erste Choreografie von Richard Wherlock und dem BerlinBallett an der Komischen Oper

Das Plakat sieht fast nach Britpop aus: „Gestern: Kuhweide. Heute Star bei Richard Wherlock“ steht quer über dem gefleckten Kunstfell einer Kuh, und rosa Euter sind das Erste, was dem Besucher von „La Fille Mal Gardée“ von der Bühne der Komischen Oper entgegenblinkt. Später werden Tänzerinnen des Landvolks auf den ausgestopften Viechern reiten und in einer winzigen Szene so etwas wie einen Zusammenstoß markieren. Und irgendwann fliegen die Kühe gar durch den blitzdurchzuckten Bühnenhimmel.

Spaß verspricht das Plakat und um Spaß ist die Compagnie um den neuen Chefchoreografen Richard Wherlock in der Komischen Oper heftig bemüht. So lässt Wherlock in der Neufassung des über 200 Jahre alten Ballett-Klassikers um eine eigensinnige Tochter das Landvolk gegen das Stadtvolk antreten. Der Tanz entspringt einem ständigen Kräftemessen, Werben und Konkurrieren, Balzen und Turteln, Sich-Spiegeln und Abgrenzen. Die gute Landluft gibt unermüdlich Kraft zu hohen Sprüngen der Herren und weiten Hebungen der Damen, und wer gerade nichts zu tun hat, klappert mit den Milchkannendeckeln.

Das alles ist nett, spritzig, bunt und doch von ermüdender Harmlosigkeit. Viel humoriges Beiwerk um eine leere Mitte: Von den ursprünglichen Leidenschaften wie Liebe, Eifersucht, Enttäuschung und Angst ist nicht viel zu spüren. Sie verpuffen im Tschingderassassa der auf Volkstänzen des 18. Jahrhunderts beruhenden Musik, und den einzigen Konflikt in diesem Handlungsballett zwischen der blonden Lise und ihrer Mutter – es geht um die Wahl des richtigen Bräutigams – kann man historisch ad acta legen.

Ann de Vos, die mit fünf weiteren Solisten dem Choreografen Wherlock vom Ballett Luzern nach Berlin gefolgt ist, setzt als Mutter Simone ihre Bewegungen wie gestochen scharfe Ausrufezeichen, zielsicher und geradeaus. An solch holzschnitthafter Autorität kann man keine Schliche üben. Kaum etwas vibriert in dieser Beziehung, was den Mutter-Tochter-Kampf auch in Zeiten der Emanzipation noch immer zäh, schmerzhaft, kompliziert und lebenslang prägt. Da bleibt nur noch, ein bisschen zu schwärmen für den neu angekommenen Bruno Guilloré, der Lises Liebhaber mit einer gemildertern Kraft tanzt, als wäre ihm die zierliche Guckkastenbühne eigentlich zu klein, oder sich über Gregor Seyffert zu freuen, der den tumben Alain ganz nebenbei tanzt – so wie andere mit dem Kleingeld in der Tasche klimpern. Allein abendfüllend ist das nicht.

„La Fille Mal Gardée“ ist die erste Produktion des BerlinBalletts, das in den nächsten Jahren aus den Compagnien der Opernhäuser neu entstehen soll. Von Richard Wherlocks romantischem Auftakt erhofft man sich zunächst, das Publikum der Komischen Oper zurückzugewinnen und sich von der Krise der letzten Jahre zu erholen. Ob dies mit einem Ballett gelingen kann, das seinen historischen Kern nur noch mit allen Zeichen der Distanzierung transportieren kann, in Kitsch, Pomp und Comedy getrieben, ist fraglich. So bleibt nur, auf den Schwung und die Leichtigkeit zu setzen, mit der neue und alte Tänzer hier erstmals zusammenfanden. Katrin Bettina Müller

Die nächsten Vorstellungen: 8., 15., 21. und 29. Oktober, jeweils 19 Uhr. Komische Oper, Behrenstr. 55 – 57

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