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Unterm Strich

Nicht immer und überall gelingt, was unser Kolumnist auf der Frankfurter Buchmesse beobachten konnte: die Besiegung des Teufels durch literarische Leidenschaft. Im Gegenteil, in manchen Fällen gebiert teuflische Leidenschaft Literatur. Da der Suhrkamp-Verlag sich über die Motivation von einem seiner Autoren nicht im Klaren ist und entsprechend unsicher, ob es sich bei einer 1995 erschienenen Veröffentlichung von Binjamin Wilkomirski um Literatur oder Teufelswerk handelt, wurde „Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939 – 1948“ gestern vom Frankfurter Verlag zurückgezogen. Wilkomirski erzählt in Bruchstücke“ von seiner Kindheit im Konzentrationslager. Die Biografie, für die er 1996 mit dem Nationalen Jüdischen Buchpreis ausgezeichnet wurde und die in 13 Sprachen übersetzt wurde, sorgte bereits im vergangenen Jahr für Diskussionen über ihre Echtheit. Der Schweizer Schriftsteller Daniel Ganzfried hatte schwere Zweifel an der Geschichte seines Landsmannes erhoben mit der Behauptung, Wilkomirski sei nicht im KZ, sondern in Biel in der Schweiz geboren worden und nie in einem Konzentrationslager gewesen. Der Autor selbst blieb bis heute bei seiner Darstellung. Das 3sat-Magazin Kulturzeit berichtete am Mittwoch, der Schweizer habe die amerikanische Autorin und „überführte Betrügerin“ Laura Grabowski angestiftet, sich als Holocaust-Opfer auszugeben. Laut Suhrkamp wird „Bruchstücke“ aus dem Programm genommen, weil Untersuchungen eines unabhängigen Historikers die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Kindheitserinnerungen untermauert hätten. Die Agentur, die die Rechte an dem Buch weltweit vertritt, habe einen Historiker beauftragt, die Identität Wilkomirskis zu klären, hieß es. Nach Abschluss des Gutachtens werde entschieden, ob „Bruchstücke“ neu aufgelegt werde.

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