Soundcheck

Gehört: Blumfeld/Silvesterboy/Eins, Zwo in der Fabrik. Auf Benefizkonzerten ist man sich gemeinhin einig, Publikum und Musiker, Türsteher und Stehpisser, Weltgeist und Vollstrecker sowieso. Wenn Gemütlichkeit der Sache der Gerechten dient: gut. Aufregung ist aber was anderes.

Als Blumfeld am Freitagabend die Bühne der Fabrik betraten, fügte sich das alles noch in dieses beschauliche Bild. Jochen Distelmeyer, laid back wie ein ibizinischer Yachtbesitzer, hat man schon anders erlebt, witzelnd, charmant, von Redezwang beseelt als großen Kommunikator. Aufregend an diesem Abend hingegen war vor allem dieses unwiderstehlich sexy Muscle-Shirt am schmächtigen Oberkörper des Blumfeld-Sängers. Das half ganz gut über die ersten zwei Drittel des Sets, die ungelenken Tanzbewegungen der Indie-Fans und den viel zu leisen Sound hinwegzusehen, passte aber auch super zum Trockeneisnebel und der George-Michael-Verbeugung, mit der dann der Funke doch noch übersprang.

Silvesterboy, eine weitere Solo-Inkarnationen Schorsch Kameruns, überraschte mit einem multimedialen Elektrotrash-Blitz-Auftritt in unglaublicher Montur: Hahnenkamm-Krone, Sonnenbrille, Thai-Boxerhose, Knieschoner, Superhelden-Robe und nackter Oberkörper. Musikalisch bewegte sich das irgendwo zwischen Sigue Sigue Sputnik und Suicide, war aber so kurz und so nicht von dieser Welt, dass man selbst seinen „Fuck the first world! Free Mumia!“-Abtritt alles, nur nicht peinlich finden konnte. Im Gegenteil: Das spitzte alle Widersprüche, die man so mit sich rumträgt, noch mal aufs Präziseste zu.

Was dann aber bei Eins, Zwo passierte, ich schwöre, habe ich noch nie erlebt. Daniel Larusso alias Dendemann ist ein König, ein guter, ein höflicher Mensch, ein Gentleman vor dem Herrn! Bei Eins, Zwo mischte sich der subjektive Faktor jeder Performance als Total-GAU ein, als Horror eines jeden Musikers: als kompletter Blackout. Dendemann verrappte sich tatsächlich in jedem Stück, während DJ Rabauke – virtuoser Turntable-Improvisator, der er nun mal ist – zu retten versuchte, was ging und seinem schlingernden MC die Beats sprichwörtlich hinterdrechselte. Da stand Dendemann, entschuldigte sich, sprach von seiner wachsenden Nervosität, setzte neu an (vergeblich) und zog doch alle komplett in seinen Bann.

Das hatte nichts Aufgesetztes, nichts Mitleidheischendes, sondern schaffte paradoxerweise im Scheitern ein Identifikationswunder, eine Intimität, die bei gelungenen Konzerten so viel seltener eintritt. Und wie das Gesetz der Serie den Teufel umbarmherzig immer wieder auf den selben Haufen scheißen ließ, dachte so mancher nur an das eigene Mathe-Abi. Ein König, wer vor so vielen Augen durch diese Schule gegangen ist. Oder mit den Worten Jochen Distelmeyers: „Daniel, jetzt bist Du uns allen einen Schritt voraus.“ Tobias Nagl