Kabelwerk wird abgewickelt

■  Die Besetzer des Berliner Alcatel-Werkes beenden nach fünf Wochen ihre Aktion. Der französische Konzern hat einen Sozialplan und eine Beschäftigungsgesellschaft zugesagt

Wir haben gelernt, dass es sich lohnt zu kämpfen.“ Joachim Uttinger, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender

Die Besetzung des Berliner Alcatel-Kabelwerkes ist nach fünf Wochen beendet worden. Geschäftsführung, Betriebsrat und IG Metall hätten sich am Sonntag auf Eckpunkte über einen Sozialplan für den zum Jahresende schließenden Betrieb verständigt, sagte gestern der Berliner IG-Metall-Chef Arnor Hager. Die Annahme des Eckpunktepapiers, das die Gründung einer Beschäftigungsgesellschaft vorsieht, sei auf einer Belegschaftsversammlung von über 90 der Besetzer beschlossen worden, so Hager.

Hager sprach von einem Teilerfolg der Belegschaft. Ein Erfolg wäre es gewesen, wenn der Produktionsstandort Berlin und damit 170 Arbeitsplätze erhalten worden wären, sagte Hager. Dies sei angesichts der starren Haltung des Konzernvorstandes nicht durchsetzbar gewesen, betonte Hager.

Alcatel wird nun wie geplant die Kabelproduktion in dem Neuköllner Werk zum Jahresende beenden und in das französische Fumay nahe der belgischen Grenze verlagern. Von Berlin soll dann nur noch der Vertrieb für den deutschsprachigen Raum und für Osteuropa gesteuert werden. 36 Arbeitsplätze bleiben so in der Hauptstadt erhalten.

„Ich bin stolz auf die Kollegen“, sagte Hager. Sie hätten fünf Wochen für den Erhalt der Arbeitsplätze gekämpft und seien nicht vor dem Konzern in die Knie gegangen sind, so Hager. Dass die Besetzer erhobenen Hauptes an die Maschinen zurückkehren könne, sieht auch der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Joachim Uttinger so. „Ohne die lange und entschlossene Besetzung hätte sich der Alcatel-Vorstand nicht in dem Maße auf die Belegschaft zu bewegt.“

Im Kern sieht die Vereinbarung mit dem Vorstand vor, für die Dauer von zwei Jahren eine Beschäftigungsgesellschaft für die entlassenen Mitarbeiter zu gründen. Diese steht für alle bisherigen Beschäftigten offen. In der Gesellschaft werden sie mindestens 80 Prozent ihres bisherigen Lohnes erhalten. Der Vorstand habe eine ausreichende Finanzierung dieser Qualifizierungsgesellschaft zugesichert, sagte Hager. In der Gesellschaft sollen individuelle Weiterbildungstrategien entwickelt werden.

Die Arbeitsmarktchancen der Beschäftigten – knapp die Hälfte sind Nichtdeutsche – seien derzeit extrem schlecht, meinte Hager. „Das sind Kabelspezialisten, die Berlin niemand braucht.“ Die Leute müssten umdenken und ganz von vorn anfangen. Die Belegschaft sei im Durchschnitt relativ jung. Deshalb sei es ein realistisches Ziel, innerhalb der nächsten zwei Jahre 80 Prozent der Betroffenen den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen, betonte Hager. Dazu sei aber professionelle Beratung nötig. Als Beispiel nannte Hager den türkischen Kollegen, der mit seiner üppigen Abfindung eine Dönerbude aufmache und nach einem halben Jahr Pleite gehe. Für einzelne Kollegen komme auch in Betracht, in anderen Alcatel-Werken unterzukommen. Der Vorstand habe einigen sogar Arbeitsplätze in Frankreich angeboten.

Die IG Metall sieht den Kampf um das Werk auch als Zeichen für andere abwanderungswillige Unternehmen in Berlin. „Wer hier Werke abwickelt, muss mit Ärger rechnen“, so Hager. Dieses Signal aus Berlin zu bekommen stabilisiere einige Arbeitsplätze, sagte Hager. Zurzeit plant der Aufzughersteller Schindler, seinen Berliner Produktionsstandort zu schließen. 50 Arbeitsplätze würden so wegfallen.

Insgesamt sind in der Hauptstadt seit 1990 rund 270.000 industrielle Arbeitsplätze abgebaut worden. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum sind in der Dienstleistungsbranche etwa 100.000 Jobs entstanden.

In der Belegschaft herrschten gemischte Gefühle, beschrieb Uttinger die Stimmung in dem Werk. „Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, nach mehreren Wochen mal wieder zu Hause zu schlafen“, so Uttinger. Auf der einen Seite gäbe es eine gewisse Erleichterung darüber, dass die extreme Situation der Besetzung beendet sei. Auf der anderen Seite wachse die Verbitterung darüber, den Arbeitsplatz verloren zu haben, obwohl der Betrieb schwarze Zahlen schreibe. In der Vergangenheit hatte die Belegschaft auch auf Lohn verzichtet, um den Vorgaben der Geschäftsführung, die Produktionskosten zu senken, entgegenzukommen. Dies habe offenbar wenig genützt, so Uttinger.

Der Betriebsrat gewann der Besetzung hingegen positive Seiten ab. Gefreut habe ihn die Solidarität der Berliner Bevölkerung. Insgesamt seien über 100.000 Mark an Spendengeldern für die Besetzer zusammen gekommen, so Uttinger. Außerdem hätten die Besetzer eine sehr wichtige Lebenserfahrung gesammelt. „Wir haben gelernt, dass es sich lohnt zu kämpfen.“ Richard Rother